Strategie

Interview mit Dr. Robert Gnann, Leiter des Silicongeschäfts bei WACKER

Silicone sind Möglichmacher

Dr. Robert Gnann, Leiter des Silicongeschäfts bei WACKER, über die geplanten Kapazitätserweiterungen und warum Silicone für den Klimaschutz unverzichtbar sind.

WACKER Magazine: Seit etwa zwei Jahren übersteigt die Nachfrage nach Siliconen das Angebot auf dem Markt – und das weltweit. Für die Kunden, die auf dieses Material angewiesen sind, ist das naturgemäß eine zutiefst unbefriedigende Situation. Wie reagiert WACKER als weltweit zweitgrößter Siliconhersteller auf den Mangel an installierten Kapazitäten?

Dr. Robert Gnann: Mit einem forcierten Wachstum. Der WACKER-Konzern und gerade auch das Silicongeschäft haben sich in den letzten Jahren sehr positiv entwickelt. Das Unternehmen ist finanziell sehr gut aufgestellt und plant weltweit ein deutlich beschleunigtes Wachstum. In den letzten Jahren wurden schon viele Expansionen auf den Weg gebracht. So werden wir weltweit in den nächsten Jahren 100 Millionen Euro allein in den Ausbau unserer Produktion von Fest- und Flüssigsiliconkautschuken investieren. Bis zum Ende des Jahrzehnts wollen wir so viele neue Kapazitäten installiert haben, dass wir den Umsatz unseres Geschäftsbereichs verdoppelt haben werden.

Dr. Robert Gnann

Seit 2016 leitet der Chemiker Dr. Robert Gnann mit WACKER SILICONES den größten Geschäftsbereich des Konzerns.

„Zum Ende des Jahrzehnts wollen wir den Umsatz unseres Geschäftsbereichs verdoppelt haben.“

Dr. Robert Gnann, Geschäftsbereichsleiter WACKER SILICONES

Bei diesem 100-Millionen-Euro-Programm handelt es sich im Wesentlichen um Downstream-Kapazitäten. Wie sieht es mit der Upstream-Produktion aus, wo auch die Vorprodukte – Silane und Siloxan – einbezogen sind?

In den USA, wo der Bedarf an Siliconen ebenso stark gewachsen ist, bereiten wir langfristig den Aufbau eines neuen Vollverbundstandorts in Charleston/Tennessee vor. Starten werden wir voraussichtlich mit Investitionen im Mid- und Downstream-Bereich von rund 200 Millionen US-Dollar. Hochleistungskautschuke und Silicone-Dichtstoffe werden ein Teil dieser Investition sein. In Charleston unterhalten wir bereits eine Produktion für Polysilicium und pyrogene Kieselsäure HDK® – eine gute Voraussetzung für eine effiziente Produktion von Siliconen.

An welchen Siliconprodukten mangelt es derzeit besonders auf dem Markt?

Insbesondere an Flüssigsiliconkautschuk und an Festsiliconkautschuken mit hoher Konsistenz in den Regionen Amerika und Europa und in Teilen von Asien. Unsere Expansionspläne sind genau darauf ausgerichtet. An unserem Produktionsstandort in Burghausen stehen mittlerweile zusätzliche Kapazitäten für Flüssigsiliconkautschuk zur Verfügung und ab nächstem Jahr werden auch an unserem US-Standort in Adrian Erweiterungsmaßnahmen wirksam.

Wie sieht es bei den hochkonsistenten Kautschuken aus?

Auch hier wird sich die Verfügbarkeit verbessern. Größere Kapazitätserweiterungen bei Festkautschuk brauchen zwar noch etwas Zeit. Aber wir haben kurzfristige Maßnahmen zur Beseitigung von Engpässen auf den Weg gebracht. Unser neuer Produktionsstandort im indischen Panagarh hat im Juli mit der Erweiterung der HTV-Kapazitäten den Anfang gemacht. Unsere Standorte in der Tschechischen Republik und in Japan werden Anfang nächsten Jahres zusätzliche Mengen produzieren. Ab 2024 wird unser großer Verbundstandort in Zhangjiagang, China, zusätzliche HTV-Mengen liefern können. Alles in allem können wir mit dieser 100-Millionen-Euro-Investition das Wachstum unserer Elastomerkunden konsequent begleiten und über mehrere Jahre zweistellige Wachstumsraten erzielen.

„Ich würde sogar sagen: Ohne Silicone würden wir uns schwertun, unsere Klimaziele zu erreichen.“

Dr. Robert Gnann, Leiter des Silicongeschäfts bei WACKER

Dr. Robert Gnann auf der Preview-Veranstaltung der Kunststoff- und Kautschukmesse K 2022

Dr. Robert Gnann (3. v. l.) auf einer Preview-Veranstaltung, wo WACKER seine Neuheiten für die Kunststoff- und Kautschukmesse K 2022 den Journalisten vorstellte.

Welche Position wird WACKER nach Abschluss dieser Erweiterungen auf dem Siliconmarkt einnehmen?

Mit diesen Maßnahmen stärken wir unsere Position als weltweite Nummer zwei im Silicongeschäft und investieren ganz besonders in die Herstellung hochwertiger Siliconspezialitäten, die auf den individuellen Bedarf unserer Kunden zugeschnitten sind. Unser Ziel ist es zudem, die Nummer eins bei HTV-Kautschuken mit hoher Konsistenz zu sein. Während sich einige unserer Wettbewerber zunehmend aus diesem Markt zurückziehen, werden wir konsequent in Qualität und neue Kapazitäten investieren. Unsere Produkte sind mit pyrogener Kieselsäure HDK® formuliert, mit einem Gewichtsanteil von bis zu 35 Prozent. Das macht unsere HTV-Produkte zu den besten ihrer Klasse. WACKER ist der einzige bedeutende Anbieter von Siliconen, der hier rückwärts integriert ist und über eine starke eigene Technologie für pyrogene Kieselsäure verfügt. Für HDK® haben wir Kapazitäten in Europa, China und den USA zur Verfügung.

Investiert WACKER SILICONES vor allem in das Geschäft mit Elastomeren?

Generell gehen unsere Expansionspläne weit über die Elastomere hinaus. Alle Bereiche der Siliconspezialitäten werden in allen Regionen konsequent erweitert. Die dazu nötigen Rohstoffe und Vorstufen werden wir zur Verfügung stellen. Der Kauf der Firma SICO in China, die organofunktionelle Silane herstellt, hat zudem unser Portfolio für Spezialadditive in vielen Bereichen, zum Beispiel im Geschäft mit Spezialklebstoffen, gestärkt.

Welche Herausforderungen stellen sich für WACKER derzeit im Bereich der Lieferketten?

Im Prinzip dieselben wie für unsere Kunden und Wettbewerber: Wir haben mit steigenden Energie- und Rohstoffpreisen, reduzierten Transportkapazitäten, mangelnder Zuverlässigkeit und längeren Transportzeiten zu kämpfen. Allerdings sind wir in der glücklichen Lage, einen beträchtlichen Teil des Siliciummetalls, das wir zur Herstellung von Siliconen und polykristallinem Silcium benötigen – rund ein Drittel – in unserem eigenen Werk im norwegischen Holla zu produzieren. Dadurch sind wir deutlich weniger anfällig für Versorgungsprobleme und steigende Preise für diesen zentralen Rohstoff. Auch hier, ganz am Anfang unserer Wertschöpfungskette, planen wir Kapazitätserweiterungen.

In welchem Ausmaß?

In Holla haben wir eine Machbarkeitsstudie für einen neuen Schmelzofen in Planung gegeben, der die Kapazität des Standorts für Rohsilicium gegenüber dem jetzigen Stand um etwa 50 Prozent erhöhen wird. Zudem prüfen wir Möglichkeiten, die bislang bei der Herstellung von Siliciummetall als Reduktionsmittel eingesetzte Steinkohle durch nachwachsende Materialien wie beispielsweise Holzkohle oder Pellets zu ersetzen. Ziel ist es, in Holla auf diese Weise bis zu 430.000 Tonnen CO2 pro Jahr einzusparen. Unser norwegischer Standort spielt damit auch eine ganz zentrale Rolle, um die Nachhaltigkeitsziele von WACKER zu erreichen. Schließlich wollen wir bis zum Jahr 2030 unseren absoluten Ausstoß an Treibhausgasen konzernweit um die Hälfte gesenkt haben.

Nachhaltige Prozesse in der Produktion sind ein Aspekt. Wie sieht es aber produktseitig mit dem Beitrag von Siliconen zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz aus?

Silicone sind Enabler: Sie gehören zu den wichtigsten Möglichmachern für den Klimaschutz. Ich würde sogar sagen: Ohne Silicone würden wir uns schwertun, unsere Klimaziele zu erreichen. Silicone werden in vielen Schlüsselindustrien eingesetzt und sind für die Entwicklung innovativer, nachhaltiger Technologien inzwischen unverzichtbar. Das gilt für die Windkraft und die Photovoltaik, wo Bauteile und Komponenten durch Silicone abgedichtet und geschützt werden, genauso wie für die Elektromobilität, die Konsumelektronik oder etwa die Gebäude- und Fensterdämmung. Der europäische Siliconverband CES hat ausgerechnet, dass die Treibhausgas-Einsparung durch die Anwendung von Siliconen um ein Vielfaches höher ist als die CO2-Menge, die bei der Herstellung und Entsorgung von Siliconprodukten entsteht.

Warum sind Silicone solche Enabler, wenn es um den Klimaschutz geht?

Dafür gibt es mehrere Gründe. Siliconkautschuk ist aufgrund seiner Hitzebeständigkeit und seines Isolationsverhaltens essenziell in der E-Mobilität. Eine Isolation von Hochleistungskabeln, Anwendungen in der Batteriesicherheit sowie thermisch leitende Verklebungen können auf dem nötigen Qualitätsniveau nur mit Siliconen erreicht werden. Unsere ultradünnen Präzisionsfolien aus Silicon und die daraus gefertigten Laminate der Marke NEXIPAL® werden zukünftig für Brennstoffzellen und für neuartige elektroaktive Aktuatoren und Generatoren eingesetzt. Diese lassen sich auch zur Stromgewinnung nutzen. Die Liste der Anwendungen ließe sich beliebig fortsetzen. Siliconkautschuke sind also sehr vielseitige, extrem leistungs- und anpassungsfähige Werkstoffe mit jeder Menge Entwicklungspotenzial. Sie bieten somit genau das, was Verarbeiter und Produktentwickler brauchen, um innovative und nachhaltige Produkte und Technologien von morgen zu entwickeln. Daher versprechen wir nicht zu viel, wenn wir sagen, dass bis zum Jahr 2030 unser gesamtes Produktportfolio definierte Nachhaltigkeitskriterien unterstützen soll.