26.05.2020 Lesezeit: ca. MinutenMinute

„Auf einem guten Weg zur Marktreife“

Dr. Jürgen Pfeiffer über das Investment in den britischen Batteriespezialisten Nexeon – und darüber welche Potenziale Silicium als Anodenmaterial für Lithium-Ionen-Akkus bietet

Seit 2010 arbeitet die Konzernforschung der Wacker Chemie AG an der Entwicklung siliciumbasierter Materialien, um die Leistungsfähigkeit von Lithium-Ionen-Batterien deutlich zu steigern. In diesem Zuge erwarb WACKER im September letzten Jahres eine Beteiligung von 25 Prozent an dem britischen Batteriematerial-Spezialisten Nexeon Ltd., der rund 40 Mitarbeiter im englischen Abingdon (Oxfordshire) sowie in einer Niederlassung in Japan beschäftigt.

Dieses Start-up wurde 2006 von Absolventen der elektrotechnischen Fakultät des Imperial College in London gegründet und erhielt seitdem in mehreren Finanzierungsrunden knapp 90 Millionen Pfund von Risikokapitalgebern und der britischen Regierung. Dr. Jürgen Pfeiffer, Leiter des Konzernschlüsselprojekts, spricht über die Motive für das Engagement von WACKER und über den Stand der Arbeiten bei dem britischen Unternehmen.

Dr. Jürgen Pfeiffer

Herr Dr. Pfeiffer, warum engagieren wir uns bei einem Start-up, das noch in der Entwicklungsphase ist, also über keine laufende Produktion, keine marktreifen Produkte und keinen Umsatz verfügt?

Zunächst einmal versprechen wir uns davon einen Technologie- und Knowhow-Transfer. Und zudem einen besseren Marktzugang, da die Nexeon-Leute hervorragende Kontakte zu Zellherstellern beispielsweise in Japan unterhalten. Um diesen Markt zu erschließen, brauchen Sie fach- und sprachkundige Leute vor Ort, über die Nexeon mit seiner japanischen Niederlassung verfügt.

Was kann Nexeon, was wir in der Konzernforschung nicht können?

Es geht hier nicht ums Können. Nexeon setzt wie WACKER auf siliciumbasierte Anodenmaterialien und verfolgt technologisch einen komplementären Ansatz, um die Leistungsfähigkeit von Lithium-Ionen-Batterien zu steigern. Unsere Strategie im Consortium ist es, Graphit als Anodenmaterial möglichst weitgehend – praktisch vollständig – durch Silicium zu ersetzen. Für Lithium-Ionen gibt es kein besseres Speichermaterial als Silicium. Weil dann in der Anode beim Ladevorgang mehr Lithium-Ionen eingelagert werden können, sind hohe Gewinne bei der Energiedichte zu erwarten. Allerdings hat Silicium den gravierenden Nachteil, dass es sich während des Ladevorgangs ausdehnt. Für dieses Problem suchen unsere Forscher ebenso wie die Kollegen von Nexeon nach einer Lösung.

„Nexeon setzt wie WACKER auf siliciumbasierte Anodenmaterialien und verfolgt technologisch einen komplementären Ansatz, um die Leistungsfähigkeit von Lithium-Ionen-Batterien zu steigern.“

– Dr. Jürgen Pfeiffer, WACKER-Konzernforschung

Können Sie für diesen Zuwachs an Leistungsfähigkeit Zahlen nennen?

Wenn der Graphit in der Anode fast vollständig durch Silicium ersetzt wird, ist theoretisch eine Erhöhung der Energiedichte von 40 Prozent möglich, was in der Praxis die Nutzungsdauer zwischen zwei Ladevorgängen entsprechend erhöht. Die Zelle, für die unser Material bereits bei einem Zellhersteller qualifiziert wurde, liefert zum Beispiel über 20 Prozent zusätzliche Energie.

Welche Anwendungen könnten von solchen siliciumbasierten Batterien profitieren?

Der Kunde, der unser Material derzeit evaluiert, denkt etwa an den Einsatz in drahtlosen Kopfhörern oder anderen sogenannten Wearables. Solche portablen Anwendungen erfahren derzeit ein enormes Wachstum.

Welche technologischen Herausforderungen stellen sich bei unserem Konzept?

Unser Material hat derzeit noch den Nachteil, dass die Kapazität des Akkus nach etwa 300 Lade- und Entladezyklen nur noch rund 80 Prozent beträgt. In gewissen Anwendungen, wie privaten Digitalkameras, ist dieser Nachteil wahrscheinlich zu akzeptieren, für eine breite Markteinführung ist allerdings eine Verbesserung der Zyklenfestigkeit auf deutlich mehr als 500 anzustreben.

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Und wie sieht der technologische Ansatz von Nexeon aus?

Nexeon – und auch viele Zellhersteller – wollen die neue Technologie nicht disruptiv, sondern evolutionär einführen und den Siliciumanteil in den Zellen langsam erhöhen. So kommt beispielsweise in den Akkus eines Elektroautos von Tesla eine Mischung aus Kohlenstoff und Silicium zum Einsatz, genauer gesagt: eine Mischung aus Graphit mit wenigen Prozent Siliciumsuboxid, der Rest verteilt sich auf diverse Additive.

Was ist der Vorteil einer solchen Mischung?

Die Energiedichte erhöht sich, allerdings nur gering, weil – wie gesagt – Silicium eine höhere Einlagerungsfähigkeit für Lithium-Ionen besitzt. Bei einem nur fünfprozentigen Anteil ist der Anwendungsvorteil für den Zellhersteller ein anderer: Die Schichtdicke der Anode wird auf diese Weise geringer, die Diffusion der Lithium-Ionen fällt leichter, und kurzfristig kann mehr Leistung abgerufen werden, was gerade in der Elektromobilität wichtig ist. Das merken Sie dann, wenn Sie aufs Gas steigen.

Und welche Nachteile haben diese Mischungen aus Siliciumsuboxiden und Graphit?

Siliciumsuboxide sind teuer und können derzeit nur einen geringen Teil in der Anodenzusammensetzung ausmachen. Nexeon hingegen hat unter dem Arbeitstitel NSP-1 ein Hybridmaterial auf Graphit- und Siliciumbasis entwickelt, das ökonomisch attraktiv sein könnte. Das ist eine Kernkompetenz von Nexeon. Allerdings dehnt sich das von Nexeon verwendete Silicium während des Ladevorgangs nach wie vor aus. Mittlerweile haben die Briten aber für solche Hybridelektroden aus Graphit und Silicium ein sogenanntes NSP-2-Material entwickelt, mit dem die Volumenänderung des Siliciums im Material zum Teil selbst aufgefangen werden kann.

Wie profitiert WACKER technologisch von der Partnerschaft mit Nexeon und umgekehrt?

Nexeon verfügt über hervorragende Leute – das Team ist sehr international – und besitzt exzellentes Equipment, das wir nutzen können. Wir können Nexeon wiederum helfen, das zur Evaluierung beim Scale-up nötige Material auch in den entsprechenden Mengen zu produzieren und bereitzustellen. Auch sind wir dabei, die technologischen Ansätze beider Seiten zu bewerten, um sicherzustellen, dass wir bei dieser vielversprechenden Technologie präsent sind. Darüber hinaus ziehen wir aktuell in Betracht, WACKER-Mitarbeiter in das Nexeon-Team zu integrieren.

„Die Potenziale, mit Silicium die Leistungsfähigkeit von Lithium-Ionen-Batterien zu steigern, sind groß, und der Markt für diese Batterien wächst gewaltig.“

– Dr. Jürgen Pfeiffer, WACKER-Konzernforschung

Warum halten wir nur einen Anteil von knapp 25 Prozent an Nexeon?

Mit unseren 24,99 Prozent sind wir der einzige strategische Investor bei Nexeon. Alle anderen sind Finanzinvestoren. Damit haben wir eine hervorragende Position, um die Entwicklung von Nexeon zu beeinflussen. Das war kein Investment ins Blaue – wir arbeiten bereits seit 2013 mit Nexeon zusammen und konnten die Potenziale dieses Unternehmens gut einschätzen.

WACKER forscht seit fast zehn Jahren an Silicium als Speichermaterial für Lithium-Ionen-Batterien, Nexeon noch einige Jahre länger. Können Sie eine erste Zwischenbilanz ziehen?

Nun, die technischen Herausforderungen verstehen wir heute sehr viel besser als noch vor fünf Jahren. Die Potenziale, mit Silicium die Leistungsfähigkeit von Lithium-Ionen-Batterien zu steigern, sind groß, und der Markt für diese Batterien wächst gewaltig. Wir sehen uns auf einem guten Weg in Richtung Marktreife, den wir durch die Kooperation mit Nexeon noch beschleunigen wollen – und zwar für beide Seiten.

Wenn der Durchbruch für die Anwendung von Silicium in der Lithium-Ionen-Batterie kommt, sind wir mit unseren eigenen Entwicklungsarbeiten und unserer Beteiligung bei Nexeon in einer ausgezeichneten Position. Die Teams von Nexeon und WACKER haben sich in den letzten Monaten mehrfach zum technischen Austausch getroffen. Wir sind überzeugt, dass wir gemeinsam eines der besten Teams in der Industrie aufgestellt haben und somit bei der Kommerzialisierung die Nase vorn haben werden.