„MIT WÄRMEDÄMMUNG KÖNNEN WIR EIN GROSSES RAD BEIM KLIMASCHUTZ DREHEN“

Interview mit Peter Summo

Peter Summo, Geschäftsbereichsleiter WACKER POLYMERS, spricht über nachhaltige Lösungen für die Bauindustrie – und warum ein unscheinbares weißes Pulver eine Schlüsselrolle in funktionierenden Dämmsystemen spielt.

Herr Summo, warum erwartet WACKER POLYMERS von der Forderung nach mehr Klimaschutz am Bau und energieffizienteren Gebäuden ein Wachstum für das eigene Geschäft mit polymeren Dispersionspulvern?

Peter Summo: Gebäude verbrauchen einfach jede Menge Energie. Insgesamt entfallen etwa 40 Prozent des weltweiten Primärenergieverbrauchs auf die Errichtung und den Betrieb von Gebäuden und gleichzeitig stehen diese laut einem UN-Bericht für 38 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen. Haupttreiber sind dabei die Heizung und die Klimatisierung. Viel von der eingesetzten Energie geht derzeit ungenutzt verloren. Bis zu 40 Prozent entfallen allein auf die ungedämmten Außenwände eines Hauses. Wenn Altbauten aber energetisch ertüchtigt werden und zugleich an Neubauten höhere Standards für Energieeffizienz gelegt werden, dann können wir ein richtig großes Rad beim Klimaschutz drehen.

Wärmedämmverbundsysteme werden in der Regel mit einem Klebemörtel an der Wand befestigt, der mit VAE-Bindemitteln von WACKER POLYMERS vergütet ist.

Ist eine gut funktionierende Gebäudeisolierung nicht vor allem in den kälteren Weltregionen wichtig?

Außen angebracht, sorgt eine Dämmung dafür, dass die Mauern im Winterhalbjahr nicht zu stark auskühlen – das ist korrekt. Sie verhindert aber ebenso, dass Häuser sich an heißen Tagen unnötig aufheizen, und senkt auf diese Weise den Energiebedarf, der sonst für eine Klimatisierung eines Gebäudes anfallen würde. Das konnten wir an einem Modellhausprojekt in Dubai zeigen, das wir dort gemeinsam mit den staatlichen Dubai Central Laboratories durchgeführt haben. Durch eine Gebäudeisolierung lässt sich der Stromverbrauch von Klimaanlagen um bis zu zwei Drittel reduzieren. Eine Wärmedämmung ist also auch in heißen Weltregionen durchaus sinnvoll.

WACKER POLYMERS stellt polymere Bindemittel auf Basis von Vinylacetat- Ethylen-Dispersionen und -Dispersionspulvern (VAE) her. Wie können diese Produkte zu mehr Energieeffizienz am Bau beitragen?

Damit das Verbundsystem seine isolierende Wirkung optimal entfalten kann, muss es sorgfältig mit der Wand verklebt sein und die einzelnen Schichten des Systems müssen fest aufeinander haften. Die meisten Wärmedämmverbundsysteme sind aus geschäumtem Polystyrol. Um die Haftung an der Wand zu gewährleisten, braucht es einen sogenannten Klebemörtel, der mit unseren polymeren Bindemitteln vergütet ist. Gleichzeitig kommen unsere Polymere nicht nur an der Basis, sondern auch an der Oberfläche der Wärmedämmung zum Einsatz. Sie machen den dünnen und eigentlich spröden Außenputz flexibel und schützen das Dämmsystem so vor Rissen, durch die etwa Regenwasser eindringen kann, und vor mechanischen Beschädigungen, zum Beispiel durch Hagel. Bindemittel von WACKER sind deswegen der Schlüssel für ein dauerhaft haltbares Dämmsystem.

Für Neubauten gibt es auch andere Systeme zur Wärmedämmung. Zum Beispiel Ziegel, die bereits ab Werk – nämlich von innen – mit Glasfasern, Mineralwolle oder dem sehr porösen Vulkangestein Perlit gedämmt sind. Wozu braucht es da noch Wärmedämmverbundsysteme?

Nicht alle Neubauten haben gedämmte Ziegelwände. Viele haben, etwa aus statischen Gründen, auch Außenwände aus Beton. Und in Europa liegt das größte Potenzial ohnehin nicht im Neubau, sondern in der energetischen Ertüchtigung von Bestandsgebäuden. Die Zahlen sprechen hier eine eindeutige Sprache. Nach einer Untersuchung der Europäischen Kommission sind etwa drei Viertel der bestehenden Gebäude derzeit nicht energieeffizient. Dabei sieht der sogenannte „European Green Deal“ vor, dass der CO2-Ausstoß in Europa bis 2030 um mehr als 55 Prozent gegenüber dem Wert von 1990 sinken soll. Und im Jahr 2050 soll die EU dann vollständig klimaneutral sein. Um diese Ziele zu erreichen, sind einige sehr dicke Bretter zu bohren.

Was heißt das konkret für die Bauindustrie?

Wir rechnen mit einer regelrechten Renovierungswelle. Auch hierzu gibt es Zahlen der Europäischen Kommission. Bis 2030 müssen demnach 35 Millionen Gebäude energetisch saniert werden. Die dafür erforderlichen Investitionen schätzt die EU-Kommission auf jährlich 275 Milliarden Euro.

Wärmeverluste über Fenster und Mauerwerk

Die Wärmebildkamera zeigt beim Blick auf eine europäische Großstadt erhebliche Wärmeverluste über Fenster und Mauerwerk. Dagegen sind viele Dächer von Altbauten mittlerweile isoliert.

Aufbau eines Wärmedämmverbundsystems – Dispersionspulver der Marke VINNAPAS® verleiht dem Mörtel eine hohe Flexibilität und Schlagfestigkeit. Im Außenputz eines Wärmedämmverbundsystems ist dies besonders wichtig, um Spannungen durch Bewitterung auszugleichen. Gleichzeitig fungiert das VAE-Polymer als stabile und dennoch flexible Verbindung zwischen den einzelnen Schichten der schützenden Fassadenisolation.

Ist Gebäudeisolierung, speziell bei Bestandsgebäuden, ein spezifisch europäisches Thema?

Auch in anderen Regionen liegt die Dämmung am Bau voll im Trend. So hat sich zum Beispiel China zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2060 klimaneutral zu werden, und nimmt dafür auch den Bausektor in den Blick. Der aktuelle Fünf-Jahres-Plan Pekings sieht bei der Energieeffizienz von Gebäuden unter anderem vor, dass eine Gebäudefläche von mehr als 350 Millionen Quadratmetern energetisch saniert werden soll.

Wärmedämmverbundsysteme sind nur ein Hebel, um Nachhaltigkeit am Bau zu befördern. Gibt es weitere Ansatzpunkte, wie WACKER POLYMERS hier tätig werden kann?

Tatsächlich haben unsere polymeren Bindemittel auch in anderen Bauanwendungen einen positiven Effekt, wenn es um Ressourcenschonung und Energieeffizienz geht. Zum Beispiel bei Fliesenmörteln. Wird die traditionelle Dickbettmethode angewandt, braucht der Handwerker etwa 14 Kilogramm Sand und Zement, um eine Wand- oder Bodenfläche von einem Quadratmeter zu fliesen. Setzt er sogenannten Dünnbettmörtel ein, der mit unseren VAE-Polymeren modifiziert ist, sind nur noch 4,5 Kilogramm Sand und Zement nötig, rund zwei Drittel weniger Material also. Und weil die Herstellung von Zement bekanntlich sehr energieintensiv ist, sinken auch die Kohlendioxidemissionen bei der Dünnbettmethode – nach unseren Berechnungen ebenfalls um rund 60 Prozent.

Wieso ist die Dünnbettmethode, bei der polymermodifizierter Fliesenkleber eingesetzt wird, dann nicht längst Standard?

In den entwickelten Industrienationen ist sie das ja, zumal sie dem Handwerker ermöglicht, die Fliesen sehr viel schneller zu verlegen. In den sogenannten Emerging Nations sehen wir hier noch große Potenziale, ressourcenschonender, energieeffizienter und zugleich produktiver zu arbeiten. Ein Aspekt, der bei modernen, polymermodifizierten Trockenmörtelsystemen übrigens unterschätzt wird, ist die Baustellen logistik. Solche Systeme – wie Dünnbettmörtel oder pumpbare Selbstverlaufsmassen – reduzieren die Baustellenlogistik erheblich, wenn diese Baumaterialien nicht an der Baustelle angemischt werden müssen. Das heißt auch: weniger Fahrten von Lkws, weniger CO2-Ausstoß. Und effizienter wird die Arbeit auf der Baustelle durch sie ohnehin.

Auch Sand, der für zementäre Anwendungen wie Beton oder Mörtel geeignet ist, wird zunehmend knapp. Das klingt zunächst paradox, weil er in Wüstenregionen ja wie der sprichwörtliche Sand am Meer vorhanden ist …

Tatsächlich ist Wüstensand zu feinkörnig und außerdem zu rund in seiner Struktur, um ihn als Zuschlagstoff in Baustoffen zu verwenden. Diese Sandkörner wurden im Laufe der Jahrtausende durch Winde rund geschliffen. Das ist ein Problem, weil Sand die größte gehandelte Feststoff-Ressource der Welt ist: Die Menschheit verbraucht jährlich 50 Milliarden Tonnen davon.

Hat WACKER POLYMERS auch eine Lösung, um bei Sand zur Ressourcenschonung beizutragen?

Ja, wir haben einen Weg gefunden, um Quarzsand in Trocken- und speziell in Fliesenmörteln durch recycelten Beton zu ersetzen, wenn diese Mörtel mit unseren VAE-basierten Bindemitteln modifiziert sind. Typischerweise beträgt der Anteil von Quarzsand im fertigen Fliesenkleber 50 bis 60 Gewichtsprozent.

Bis zur Hälfte dieses Zuschlagstoffs kann durch feinkörnigen recycelten Beton ersetzt werden, ohne dass sich dadurch die Eigenschaften des Fliesenklebers verschlechtern. Das schont die natürlichen Ressourcen.

Wärmedämmverbundsysteme in heißen Klimazonen – Modellhausstudie in Dubai

WACKER führte in Zusammenarbeit mit dem staatlichen Zentrallabor in Dubai eine gemeinsame Modellhausstudie durch, um die Sinnhaftigkeit von Wärmedämmungen auch in heißen Klimazonen zu untersuchen.

Dafür wurden zwei identische Wohneinheiten errichtet und Messungen über über einen Zeitraum von zwölf Monaten durchgeführt. Ein Haus war ungedämmt, das andere mit einem Wärmedämmverbundsystem isoliert.

Ergebnis:
Der Energieverbrauch aufgrund der Klimatisierung und die CO2-Emissionen liegen im Fall des gedämmten Modellhauses um rund 60 Prozent niedriger.

Energieverluste eines typischen unsanierten Einfamilienhauses ohne Wärmedämmung. Bis zu zwei Drittel der Heizenergie gehen über Mauern und Fenster verloren, was durch eine energetische Sanierung vermieden werden kann.

Dach: 15%
Fenster: 25%
Fensterausschnitt: 10%
Mauer: 40%
Keller: 10%

Quelle: EAE – European Association for External Thermal Insulation Composite Systems/Dena