Lena Policzka, Künstlerin

„System: Circuit“ – Kunstwerk aus Silicon im Rathaus Murnau

13.11.2020 Lesezeit: ca. MinutenMinute

Eine unschlagbare Kombi

Kunstwerke zu erschaffen heißt nicht nur, kreativ zu sein. Es gilt auch, die richtigen Materialien zu finden, um Ideen in die Realität zu überführen. Das ist der Künstlerin Lena Policzka mit ihrer Installation „System: Circuit“ im Rathaus von Murnau gelungen – dank zweier verschiedener Silicone von WACKER.

Dass ihre Rauminstallation „System: Circuit“ seit Anfang September im Sitzungsaal des Rathauses Murnau hängt, ist für auch Lena Policzka etwas Besonderes. Und das nicht nur, weil die Künstlerin gleich um die Ecke, in Unterammergau, lebt. Denn so klein das oberbayerische Städtchen Murnau mit 12.000 Einwohnern sein mag, so groß sind doch die Spuren, die es in der Kunstgeschichte hinterlassen hat. Die Malerin Gabriele Münter und der Maler Wassily Kandinsky, lange auch privat ein Paar, lebten dort und wie auch viele andere Künstler der Bewegung Blauer Reiter, die vor dem Ersten Weltkrieg dem Expressionismus entscheidende Impulse gaben.

Bis heute fühlen sich die Murnauer der bildenden Kunst verpflichtet, und so schrieben sie 2019 einen Wettbewerb zur Neugestaltung des Sitzungssaales im Rathaus aus, den Lena Policzka gewann. Die 33-jährige Künstlerin beschränkte sich nicht auf eine bloße Wanddekoration, sondern legte ein regelrechtes Raumkonzept vor.

„Mir war es wichtig, nicht nur einzelne Wände des Saals zu bespielen, sondern auch einen Bezug zum Raum zu schaffen“, erklärt Lena Policzka, die installativ und skulptural arbeitet. Ihre Idee: ein Schaubild zu gestalten, das eine lebendige Diskussion darstellt und – im metaphorischen Sinne – etwas darüber erzählt, was im Sitzungssaal stattfindet. „Für mich ist der Gemeinderat eine Art Delta, in das die Belange der Bürger münden. Ich hatte zudem das Bild einer Schaltzentrale im Kopf, eines Kommunikationsnetzwerks mit Neuronen und Synapsen. Nervenbahnen nehmen Informationen auf, leiten sie zu Nervenzellen weiter, in denen sie dann gebündelt und ausgewertet werden, um letztlich Entscheidungen zu treffen“, sagt Policzka.

Gleichzeitig sollten landschaftliche Aspekte mit einfließen, die Murnau und das durch seine Maler berühmt gewordene Blaue Land prägen: das Wasser des Staffelsees, die Moorlandschaft, die Gebirgsketten.

Um das alles Wirklichkeit werden zu lassen, war der Künstlerin schnell klar, dass sie ihre Idee am besten in ein Geflecht aus farbig befüllten Schläuchen und Verbindungselementen übersetzt. Einige Hundert solcher Knotenpunkte und Halterungen und etwa ein Kilometer Schlauch bilden das Kunstwerk.

Die Schläuche wurden aus Siliconkautschuk im Extrusionsverfahren hergestellt und mit einem Silicongel befüllt, dem zudem ein Farbstoff beigemischt wurde.

Die Schläuche wurden aus Siliconkautschuk im Extrusionsverfahren hergestellt und mit einem Silicongel befüllt, dem zudem ein Farbstoff beigemischt wurde.

Es ist wichtig, die geforderten Eigenschaften exakt zu kennen. Nur dann lässt sich das optimale Silicon auswählen, sodass wir mit den entsprechenden Additiven die optimale Mischung herstellen können.

Richard Heider, Leiter Anwendungstechnik, Silikon-Technik Siltec GmbH & Co. KG

Sitzungssaal Rathaus Murnau

Die fertige Rauminstallation im Sitzungssaal des Murnauer Rathaus verkörpert auf metaphorische Weise den Fluss von Information und den lebendigen Austausch, den eine Demokratie benötigt.

Eine Runde durch den Raum

Das Netzwerk zieht sich an den Wänden des gesamten Sitzungssaals entlang und macht damit eine Runde durch den Raum. Anfang und Ende ist der Saaleingang, also dort, wo die Bürgerbelange sozusagen eintreten und Entscheidungen den Diskussionsort wieder verlassen. Doch welche Materialien eignen sich für das Kunstprojekt? Worin kommen Farben und Formen am besten zur Geltung? Was lässt sich praktisch umsetzen – und wie? „Ich wollte vor allem, dass in den Schläuchen der Eindruck entsteht, es würde darin Wasser fließen. Gleichzeitig sollten die verschiedenen Landschaftsfarben aufgegriffen werden“, sagt Policzka.

Gel statt Flüssigkeit

Doch die Schläuche mit echten Flüssigkeiten zu befüllen, war keine Option: „Farbpigmente setzen sich darin ab. „Eine befreundete Restauratorin brachte mich schließlich auf die Idee, mit Silicongelen zu arbeiten“, erklärt sie. Policzka nutzt dafür SILGEL® 612, einen gießbaren, bei Raumtemperatur vulkanisierbaren, additionsvernetzenden Zweikomponenten-Silikonkautschuk von WACKER. Der große Vorteil dieses Silicons: Sobald die beiden Ausgangskomponenten vermischt sind, härtet es glasklar aus und mit ihm die Farbpigmente. Zudem ist Silicon UV-beständig – es altert und vergilbt also nicht. Eingeschlossene Luftbläschen, die man in der industriellen Anwendung tunlichst vermeiden will, machen für die Künstlerin den Eindruck, dass Wasser hindurch fließt, perfekt.

Das organisch geformte, abstrakte Liniennetzwerk erinnert mal an den Verlauf einer Gebirgskette, mal an das heitere Spiel einer in Schwingung versetzten Wasseroberfläche, mal an ein riesiges Nervengeflecht.

Lena Policzka, Künstlerin

Rund einen Kilometer Schläuche aus Silicon und Hunderte Knotenpunkte hat Lena Policzka zu ihrer Rauminstallation verarbeitet.

Rund einen Kilometer Schläuche aus Silicon und Hunderte Knotenpunkte hat Lena Policzka zu ihrer Rauminstallation verarbeitet.

Während vergleichsweise rasch feststand, dass Silicongel das optimale Material ist, gestaltete sich die Suche nach geeigneten Schläuchen schwieriger. „Schließlich sollen sie auch über lange Zeit stabil sein – und das ist beispielsweise bei PVC nicht der Fall, weil es mit der Zeit spröde wird. „Die Hersteller konnten mir nur fünf Jahre Gewährleistung geben. Das war zu wenig“, erklärt Policzka. Nach langer Suche wurde sie ebenfalls bei WACKER fündig – genauer gesagt bei Dr. Christian Anger, Leiter eines anwendungstechnischen Labors von WACKER SILICONES in Burghausen.

„Eine solche Anfrage, also geeignete Silicone für ein Kunstprojekt auszuwählen, ist für uns schon außergewöhnlich“, erinnert sich der Chemiker. „Aber auch mal eine willkommene Abwechslung zum Alltagsgeschäft“, fügt er lachend hinzu. Normalerweise kümmert sich Anger um Silicone, die per Extrusion zu Schläuchen für lebensmitteltechnische oder medizinische Anwendungen hergestellt werden, etwa für Blasenkatheter oder Wunddrainagen.

SILTEC

Die Firma Silikon-Technik Siltec GmbH & Co. KG (www.siltec.de) wurde Ende der Siebzigerjahre in Weiler im Allgäu gegründet und fertigt mit rund 200 Mitarbeitern Siliconkomponenten für Medizintechnik, Pharmazie, Lebensmittelherstellung, Fahrzeug- und Straßenbau, Luft- und Raumfahrt sowie andere spezialisierte Industrien. Das Unternehmen stellt sowohl Formteile als auch Extrudate her und verfügt über Fertigungsprozesse in den Verfahren Spritzguss, Extrusion, Form- und Transferpressen sowie über eine eigene Compoundierung. Im Bereich Extrusion werden neben Standardprodukten auch komplexe Geometrien sowie coextrudierte und gewebeverstärkte Produkte produziert.

Sehr spezifische Anforderungen

Für ihr Kunstprojekt im Murnauer Sitzungssaal schlug Dr. Anger der Künstlerin ELASTOSIL® R plus 4305 vor. „Die Materialauswahl stand aufgrund des Anforderungsprofil schnell fest“, berichtet der Chemiker. „Die Schläuche sollten langzeitstabil sein, sehr transparent und gleichzeitig auch geruchs- und farbneutral.“ Weil das Unternehmen gerne Künstler unterstützt, sponserte WACKER auch den Siliconkautschuk.

Nachdem das geeignete Material gefunden war, brauchte es aber noch ein Unternehmen, das aus dem Silicon auch die Schläuche herstellen kann. „Auch dabei haben wir unterstützt. Würde man es in unserem Jargon sagen, haben wir quasi geholfen, eine Supply Chain für diesen Teil des Kunstprojekts aufzustellen“, erklärt Anger schmunzelnd. „Es kommen nicht viele Firmen infrage, die so flexibel auf Kundenwünsche reagieren und auch solche kleinen Projekte abwickeln können.“

Deswegen holte der WACKER-Experte im Februar 2020 den Allgäuer Siliconverarbeiter Silikon-Technik Siltec (www.siltec.de) mit ins Boot. Die beiden Unternehmen verbindet eine jahrzehntelange, partnerschaftliche Zusammenarbeit. „Wir sind nicht nur Kunde von WACKER, sondern auch immer wieder in Entwicklungsprojekte miteingebunden und im ständigen Dialog, um bestmögliche Lösungen anzubieten“, sagt Richard Heider, Leiter Anwendungstechnik bei Siltec. „Wir fertigen auch sehr kundenspezifische Produkte an – und das Anforderungsprofil von Lena Policzka zählte auf jeden Fall dazu.“

Wir fertigen auch sehr kundenspezifische Produkte an – und das Anforderungsprofil von Lena Policzka zählte auf jeden Fall dazu.

Für die Schläuche schufen die Siltec-Experten eine eigene Rezeptur – mit dem WACKER-Silicon als Grundstoff. „Deswegen ist es wichtig, die geforderten Eigenschaften exakt zu kennen“, sagt Heider. „Nur dann lässt sich das optimale Silicon auswählen, sodass wir mit den entsprechenden Additiven die optimale Mischung herstellen können.“

Genauso müssen bei der anschließenden Extrusion des Schlauches die richtigen Parameter an den Maschinen eingestellt sein: Druck, Temperatur, Geschwindigkeit, Verarbeitungszeitfenster. Denn das alles bestimmt am Ende die Produkteigenschaften. „Die größte Herausforderung bestand für uns darin, die qualitativ-künstlerischen Vorstellungen in technisch-quantitative Größen zu übersetzen“, erinnert sich der Siltec-Experte.

Wir fertigen auch sehr kundenspezifische Produkte an – und das Anforderungsprofil von Lena Policzka zählte auf jeden Fall dazu.

Richard Heider, Leiter Anwendungstechnik bei Siltec

Besonders transparentes Material

Damit die unterschiedlichen Farben der Silicongele möglichst unverfälscht zur Geltung kommen, war zudem wichtig, dass die Schläuche besonders transparent sind und keine störenden Einschlüsse enthalten. „Außerdem war es mir wichtig, dass die Oberfläche sehr glatt ist, also nicht leicht klebrig, wie das bei Siliconoberflächen sonst oft der Fall ist“, sagt Policzka.

Auch diesen Wunsch konnten die Siltec-Experten erfüllen: Dank einer speziellen Oberflächenbehandlung fühlt sich der Schlauch so glatt an und es haftet kaum Staub darauf. „Es war unglaublich spannend, meine künstlerischen und ästhetischen Ansprüche gemeinsam mit WACKER und Siltec in etwas Technisches zu überführen. Für die wunderbare Beratung bin ich beiden Unternehmen sehr dankbar“, erklärt Lena Policzka.

Seit dem 9. September 2020 ist "System: Circuit" im Sitzungssaal des Murnauer Rathauses installiert – und visualisiert, was dort passiert: Ideen und Diskussionen bewegen sich im Raum, Kompromisse werden geschlossen, neue Vorschläge kommen auf oder werden wieder verworfen – und schließlich verlässt eine gemeinsame Entscheidung den Raum. Es ist ein Ort, der mit dem Kunstwerk auch ein Stück weit eine Seele bekommt.

Kontakt

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Herr Dr. Christian Anger
Anwendungstechnik
Rubber Solutions, WACKER SILICONES
+49 8677 83-86172
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