26.05.2020 Lesezeit: ca. MinutenMinute

„Wir sind echte Vorreiter“

WACKER-Vorstandsmitglied Auguste Willems über Klimaschutz, Kundenbedürfnisse – und darüber, warum in der Verbundproduktion des Konzerns Ökologie und Ökonomie schon seit Jahrzehnten Hand in Hand gehen.

Woran lässt sich erkennen, dass Nachhaltigkeit für WACKER ein bedeutsames Thema ist?

Zunächst einmal an den Zielen, die wir uns bezüglich unserer Produktionsprozesse gesetzt haben: Eines unserer fünf strategischen Konzernziele lautet, den Fokus noch mehr auf Nachhaltigkeit zu legen. Dazu wollen wir bis zum Jahr 2030 unsere spezifischen Treibhausgasemissionen um ein Drittel reduzieren und den spezifischen Energieverbrauch um die Hälfte. Energieeinsatz und Rohstoffe sind für ein Chemieunternehmen die größten Stellschrauben, um das Thema Nachhaltigkeit in seiner Produktion voranzutreiben. Der Verband der chemischen Industrie in Deutschland hat in seiner Roadmap 2050 aufgezeigt, dass der Energiebedarf in seiner Produktion – beispielsweise um Dampf zu erzeugen – bis zum Jahr 2050 weitgehend durch Strom und nicht durch fossile Rohstoffe gedeckt werden muss.

Warum? Weil Strom auch aus erneuerbaren Energien gewonnen werden kann und damit der CO2-Fußabdruck der Industrie sehr deutlich reduziert wird. Bislang bezieht die deutsche Chemie aber erst 12 Prozent ihres Energiebedarfs aus Strom und 88 Prozent aus fossilen Rohstoffen. In 30 Jahren soll dies fast umgekehrt sein.

Auguste Willems

Auguste Willems ist im Vorstand der Wacker Chemie AG unter anderem für die Themen Produktion und Nachhaltigkeit zuständig.

Und wie sieht diese Rechnung konkret für WACKER aus?

WACKER bezieht schon heute 62 Prozent der nötigen Energie über Strom und nur 38 Prozent direkt aus fossilen Rohstoffen. Damit haben wir die besten Voraussetzungen, als eines der ersten deutschen Chemieunternehmen in seiner Produktion klimaneutral zu werden. Voraussetzung ist natürlich, dass der Strommix eines Tages vor allem auf erneuerbaren Energien basiert. Wir sind in dieser Hinsicht echte Vorreiter!

„Bis 2030 wollen wir unsere spezifischen Treibhausgasemissionen um ein Drittel und den spezifischen Energieverbrauch um die Hälfte reduzieren.“

– Auguste Willems, Vorstandsmitglied Wacker Chemie AG

Das waren die Produktionsprozesse. Wie spiegelt sich das Thema Nachhaltigkeit denn in den Geschäftsprozessen wider?

Unsere Handlungsgrundsätze als Unternehmen haben wir in fünf Codes festgehalten: Einer davon, der Code of Sustainability, führt Prinzipien der Nachhaltigkeit auf, nach denen sich Forschung und Entwicklung, Produktion und Produkte, Einkauf und Logistik sowie unser gesellschaftliches Engagement auszurichten haben. Auch von den Partnern, mit denen wir zusammenarbeiten, erwarten wir, dass sie nicht nur alle einschlägigen Gesetze und Verordnungen befolgen, sondern auch unseren eigenen hohen Umwelt-, Gesundheits- und Sicherheitsstandards gehorchen. In der Initiative Together for Sustainability arbeiten wir gemeinsam mit 25 anderen Chemieunternehmen daran, Umwelt- und Sozialstandards in den Lieferketten zu bewerten, gezielt zu verbessern und so eine verantwortungsvolle Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen sicherzustellen.

Solaranlage in der Wüste

Photovoltaikmodule liefern über eine erwartbare Lebensdauer von 30 Jahren ein Vielfaches des Stroms, den WACKER für die Herstellung des Grundstoffs Polysilicium benötigt.

Und wie spiegelt sich die Bedeutung des Themas Nachhaltigkeit auf der Produktseite wider?

Zu nennen sind hier die WACKER Sustainable Solutions – ein Programm mit dem Ziel, unser Produktportfolio zunehmend nachhaltig auszurichten. Bis 2030 sollen 90 Prozent unseres Portfolios aus Produkten bestehen, die unter Nachhaltigkeitskriterien als mindestens neutral oder besser als positiv zu bewerten sind. Mit BELSIL® eco, VINNAPAS® eco und VINNECO® bieten unsere beiden größten Geschäftsbereiche – WACKER SILICONES und WACKER POLYMERS – schon jetzt Produkte an, die nicht auf fossilen Rohstoffen basieren, sondern auf der Grundlage nachwachsender Rohstoffe hergestellt werden. Es gibt immer mehr Branchen wie die Kosmetikindustrie, die solche Produkte fordern, und wir können dieses Marktverlangen bedienen. Damit sind wir ein echter Vorreiter in der Chemieindustrie.

Mit den WACKER Sustainable Solutions stellen wir für unser gesamtes Portfolio die Frage, welchen Nachhaltigkeitsbeitrag diese Produkte in der Endanwendung leisten. So ermöglichen unsere VAE-Polymere die Nutzung von effizienten Dünnbettmörteln, mit denen nur noch ein Viertel der Zementmenge verwendet werden muss, die in unmodifizierten Dickbettsystemen nötig wäre. Und weil bei der Zementproduktion sehr viel CO2 freigesetzt wird, verbessert sich damit die Klimabilanz von Mörtelprodukten erheblich. Dispersionspulver auf VAE-Basis sorgen im Unterputz auch dafür, dass Wärmedämmverbundsysteme an der Wand haften, und tragen somit zur Energieeinsparung bei. Oder nehmen Sie Elektroautos: Antriebsmotor, Batterie und Leistungselektronik benötigen ein effizientes Wärmemanagement. Dafür sind siliconbasierte Wärmeleitmaterialien ideal.

Hat das Thema Nachhaltigkeit erst mit der öffentlichen Debatte um die Erderwärmung an Bedeutung gewonnen?

Keineswegs. Nachhaltigkeit ist für uns absolut kein neues Thema. Wir betreiben an unserem größten Standort in Burghausen schon seit Jahrzehnten eine fein austarierte, engmaschig verflochtene Verbundproduktion, deren Prinzipien wir mit dem Aufbau eines globalen Produktionsverbunds mittlerweile auch weltweit übernommen haben. Verbundproduktion heißt: Anfallende Nebenprodukte aus einem Produktionsschritt werden wieder in den Prozess eingespeist und als Ausgangsmaterial für weitere Produkte verwendet. Die benötigten Hilfsstoffe wie Chlorwasserstoff bewegen sich in einem geschlossenen Kreislauf und werden zu fast 100 Prozent zurückgewonnen. Abwärme aus Produktionsprozessen wird für weitere Prozesse genutzt. So sparen wir Ressourcen sowie Energie und vermeiden Abfall. In diesem Produktionsverbund gehen Ökologie und Ökonomie wirklich Hand in Hand – und das schon seit Jahrzehnten.

Selbstverständlich hat aber die öffentliche Debatte dazu beigetragen, dass wir bei WACKER diese Bemühungen noch einmal intensiviert haben. Beispielsweise kümmern wir uns verstärkt um die Kreislaufwirtschaft abseits unseres eigenen Verbunds. So prüfen wir zusammen mit unseren Kunden, inwieweit man unsere Produkte nach Gebrauch wieder einsammeln und wiederverwerten kann. Auch führen wir Studien zur Bioabbaubarkeit unserer Produkte durch. Und ganz konkret zum Thema Klimaschutz.

Kann ein privatwirtschaftlich agierendes Unternehmen wie WACKER zum politischen Ziel Deutschlands und der Europäischen Union beitragen, im Jahr 2050 klimaneutral zu sein?

Selbstverständlich. Berechtigterweise sieht die Öffentlichkeit in der Klimaerwärmung eine besondere Bedrohung. Und 30 Jahre bis zur angestrebten Klimaneutralität sind sehr wenig. Als weltweit führender Hersteller von Polysilicium für Photovoltaikmodule leistet WACKER mit seiner hocheffizienten Produktion einen erheblichen Beitrag, denn ohne Solarenergie können die Energiewende und das Ziel der Klimaneutralität wohl nicht erreicht werden kann. Allerdings lässt sich etwa an den 17 UN-Nachhaltigkeitszielen deutlich erkennen, dass Nachhaltigkeit mehr ist als Klima- und Umweltschutz: Nachhaltigkeit umfasst auch soziale und wirtschaftliche Aspekte. So muss es für WACKER auch ökonomisch rational sein, neue, besonders nachhaltige Produkte zu entwickeln – etwa weil der Markt dies verlangt.

„Wir wollen mit unseren Produkten dazu beitragen, dass das politische Ziel Deutschlands und der Europäischen Union erreicht werden kann, im Jahr 2050 klimaneutral zu sein.“

– Auguste Willems, Vorstandsmitglied Wacker Chemie AG

Inwiefern braucht WACKER bei seinen Bemühungen um mehr Nachhaltigkeit auch Unterstützung aus der Politik?

WACKER ist zunächst einmal ein energieintensiv wirtschaftendes Unternehmen. Unsere Polysiliciumherstellung benötigt viel Strom, doch die Photovoltaikmodule, die mit diesem Polysilicium hergestellt werden, erzeugen in ihrem anschließenden Lebenszyklus ein Vielfaches dieser Strommenge – und das absolut klimaneutral. Als Faustregel kann man sagen, dass moderne Photovoltaikmodule schon nach einem Jahr im Einsatz mehr Strom produziert haben, als zur Herstellung der Module (inklusive des Grundstoffs Polysilicium) nötig war. Natürlich hängt dies stark von der Sonneneinstrahlung am Ort ab, an dem die Module aufgestellt werden. Bei einer erwartbaren PV-System-Lebensdauer von 30 Jahren ist die CO2-Bilanz der Photovoltaik und ihres Grundstoffs Polysilicium jedoch unterm Strich immer in hohem Maße positiv.

Allerdings sind unsere Strompreise in Deutschland schon jetzt bis zu viermal höher als die unserer chinesischen Wettbewerber, und sie steigen durch den Kohleausstieg weiter. Wenn energieintensive Zukunftstechnologien wie die Herstellung von Polysilicium aber nach China abwandern, weil eine Produktion wegen der hohen Strompreise in Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig ist, dann steigen die Emissionen von Treibhausgasen letztlich massiv. Schließlich wird in China viel mehr mit Strom aus Kohle produziert als hierzulande und die Produktionsanlagen dort sind auch längst nicht so energieoptimiert wie die unsrigen. Das kann doch nicht im Sinne des Klimaschutzes sein, zumal auch Arbeitsplätze in einer Zukunftsindustrie auf dem Spiel stehen. Hier ist die Politik gefragt, im Spannungsfeld von ökologischen, ökonomischen und sozialen Belangen einen vernünftigen, auch langfristig funktionsfähigen Ausgleich hinzubekommen.