Fliesenkleber an einer Wand: Um Trockenmörtel für solche Anwendungen optimieren zu können, müssen die Hersteller wissen, wie leicht sich der Mörtel applizieren lässt, wie lange er verarbeitet werden kann und wie stark er beim Aushärten schrumpft.

Schallbeschleunigung im Fokus

30.08.2021 Lesezeit: ca. MinutenMinute

Qualitätskontrolle per Ultraschall

Hersteller von Trockenmörteln interessiert, wie sich ihre Produkte beim Abbinden verhalten. Zusammen mit UltraTest hat WACKER ein neues Softwaremodul entwickelt, das aus der Ausbreitung von Ultraschallwellen im abbindenden Mörtel detaillierte Informationen herausliest. So können die Hersteller ihre Rezepturen besser optimieren.

Noch zur Mitte des letzten Jahrhunderts mischten Bauarbeiter ihren Mörtel auf der Baustelle selbst an – aus Zement, Sand und Wasser. Die Qualität hing von der Erfahrung der Arbeiter ab. Heute werden fast nur noch Trockenmörtel verwendet – vorgefertigte Mischungen, denen nur noch Anmachwasser zugefügt werden muss.

Mit der Einführung des Trockenmörtels erreichten die Baustoffhersteller eine definierte Qualität. Zudem stimmten sie ihre Rezepturen auf die vorgesehene Anwendung ab, indem sie optimal geeignete Zemente oder auch andere mineralische Bindemittel auswählten und Additive zusetzten. So ist ein Putzmörtel anders zusammengesetzt als ein Mauermörtel, dieser wiederum anders als ein Fliesenkleber oder eine Selbstverlaufsmasse.

Additive modifizieren die Eigenschaften des Mörtels. Sie beeinflussen etwa, wie leicht sich der Mörtel applizieren lässt, wie lange er verarbeitet werden kann, wie stark er beim Aushärten schrumpft oder welche Festigkeit er erreicht. Diese Eigenschaften prüft der Trockenmörtelhersteller während der Produktentwicklung gründlich. Besonders wichtig ist es für den Entwickler zu wissen, wie sich die Additive auf die einzelnen Abbindestadien auswirken.

Eine Selbstverlaufsmasse wird extern angerührt und anschließend in Messtöpfe gefüllt.

Eine Selbstverlaufsmasse wird extern angerührt und anschließend in Messtöpfe gefüllt.

Ultratest GmbH: Bremer Ultraschall-Spezialist

Mit einem neuen Softwaremodul, dem Logistic Fitting Module, können Entwickler solche Informationen auf einfache Weise aus Ultraschallmessungen gewinnen. Dieses Modul haben WACKER und die bei Bremen ansässige UltraTest GmbH zusammen entwickelt. UltraTest ist ein renommierter Hersteller von Ultraschallmesssystemen. Das Logistic Fitting Module ergänzt die Basissoftware, mit der das Achtkanal-Ultraschallmesssystem des norddeutschen Geräteherstellers ausgerüstet ist.

Auch heutige Trockenmörtel enthalten meist Zement als Bindemittel oder als Bestandteil eines Bindemittelsystems. Zement ist ein feinkörniges Gemenge mehrerer entwässerter mineralischer Feststoffe, die allesamt mit dem Anmachwasser chemisch reagieren – Fachleute sprechen von Hydratationsreaktionen – und dabei kristalline Hydrate bilden. Diese Kristalle wachsen im Verlauf des Erstarrens und Aushärtens, verzahnen sich untereinander und bauen dadurch ein festes Netzwerk auf. So entsteht ein poröser Festkörper, der sich nicht mehr plastisch verformen lässt.

Heat Flow Module

Einen anderen Blick auf das Abbinden von Zement bietet die Messung der Wärme, die bei den Hydratationsreaktionen freigesetzt wird. Viele Trockenmörtelhersteller kombinieren solche wärmeflusskalorimetrischen Untersuchungen mit dem Ultraschallverfahren. Den Anwendern des Ultraschallmesssystems von UltraTest steht eine als Heat Flow Module bezeichnete Zusatzsoftware zur Verfügung, die mathematisch wie das Logistic Fitting Module funktioniert. Sie erlaubt, die Ergebnisse wärmeflusskalorimetrischer Untersuchungen in die Basissoftware des Ultraschallmesssystems einzulesen und auszuwerten.

Vier Abbindestadien

Die Hydratationsreaktionen der einzelnen Zementkomponenten verlaufen zeitlich versetzt; sie beginnen zu unterschiedlichen Zeiten und unterscheiden sich in ihren Geschwindigkeiten. Wird zum Beispiel ein Portlandzement als Bindemittel eingesetzt, treten beim Abbinden vier Stadien auf. Die Vorgänge, die in den einzelnen Stadien ablaufen, können mit Röntgenbeugung und mit ESEM, einem rasterelektronenmikroskopischen Verfahren, näher untersucht werden. Beide Verfahren sind jedoch arbeitsaufwendig und kostspielig – Baustoffhersteller suchen daher Wege, sie möglichst selten anwenden zu müssen.

Wesentlich einfacher, schneller und kostengünstiger ist die Messung der Ultraschallgeschwindigkeit im abbindenden Mörtel. Seit den 1950er-Jahren ist bekannt, dass sich Ultraschall in einer breiigen oder festen Masse umso schneller ausbreitet, je größer der dynamische Elastizitätsmodul des Materials ist. Für einen abbindenden Mörtel bedeutet das: Die Schallgeschwindigkeit nimmt zu, je weiter die Aushärtung fortgeschritten ist. Direkt nach dem Anrühren mit Wasser breitet sich die Ultraschallwelle mit nur etwa 100 Meter pro Sekunde aus, im abgebundenen Mörtel liegt die Geschwindigkeit dagegen zwischen 2.000 und 4.000 Meter pro Sekunde.

Misst man also fortlaufend die Ultraschallgeschwindigkeit, kann man den Fortgang des Abbindens verfolgen. Zur Auswertung wird die gemessene Schallgeschwindigkeit in einem Diagramm gegen die Zeit aufgetragen. Solch eine Kurve liefert das Messsystem von UltraTest.

Grafik Abbildeverhalten eines Portlandzements
Mittels Logistic Fitting wertet Christiane Treml die Messkurven aus.

Mittels Logistic Fitting wertet Christiane Treml die Messkurven aus. Ein Großbildschirm erleichtert die visuelle Beurteilung der Güte des Fittings.

Schallbeschleunigung im Fokus

„In dieser Schallgeschwindigkeitskurve stecken auch Informationen über den zeitlichen Verlauf der Hydratationsreaktionen; sie müssen durch ein mathematisches Verfahren herausgeschält werden“, sagt Dr. Ingo Müller. Zusammen mit seiner Kollegin Christiane Treml leitet der Mineraloge bei WACKER POLYMERS das Projekt der Softwareentwicklung. „Beginn und Ende jedes einzelnen Hydratationsprozesses lassen sich deutlich erkennen, wenn man die zeitlichen Änderungen der Schallgeschwindigkeit betrachtet. Es ist also besonders aufschlussreich, die Schallbeschleunigung näher zu untersuchen.“

Für das neue Softwaremodul fand das Team einen Weg, den Verlauf der Schallgeschwindigkeitskurve mathematisch durch eine Funktionsgleichung zu beschreiben, aus der sich dann die Schallbeschleunigung berechnen lässt. „Wir setzen die Funktionsgleichung für den gesamten Abbindeprozess aus einzelnen Termen zusammen und passen die Gleichung an die Messkurve an“, erklärt WACKER-Experte Ingo Müller. „Dieses Fitting, wie Mathematiker solch eine Anpassung nennen, gelingt mit hoher Genauigkeit.“ Die einzelnen Terme beschreiben ein logistisches Wachstum – also ein Wachstum, das zunächst exponentiell beginnt, dann abflacht und schließlich nahezu zum Erliegen kommt. Nach diesem Muster wächst auch die Schallgeschwindigkeit, die den Fortgang eines jeden einzelnen Hydratationsprozesses widerspiegelt.

Das Softwaremodul übernimmt das Fitting und berechnet die Schallbeschleunigung für den gesamten Abbindevorgang und für die einzelnen Terme. Die für die Terme berechneten Beschleunigungen fallen zeitlich mit den einzelnen Hydratationsprozessen zusammen. Ihre Graphen sind Peaks, welche die Form von gaußschen Glockenkurven haben.

Exakte Informationen

Diese Peaks geben dem Anwender exakte Informationen darüber, wann die Einzelprozesse stattfinden und wie lange sie dauern. „Allerdings liefert die Ultraschallmessung keinerlei Hinweise, was in den Prozessen physikalisch oder chemisch passiert“, betont Müller. Erst eine zeitaufgelöste Röntgenbeugungsuntersuchung des abbindenden Zements, für die sich am besten die intensive Röntgenstrahlung aus einem Synchrotron eignet, ermöglicht die Zuordnung der Peaks zum Reaktionsgeschehen.

Untersucht der Trockenmörtel-Entwickler seine Formulierung mit Ultraschall und wertet er die Messungen mit dem Logistic Fitting Module aus, kann er prüfen, wie sich ein Additiv auf die einzelnen Hydratationsprozesse auswirkt. Dabei kann er auch unerwünschte Nebenwirkungen des Additivs erkennen, gezielt nach den Ursachen forschen und Gegenmaßnahmen ergreifen.

Grafik Ultraschallbeschleunigung

Die Produktentwicklung sollte – so der Rat von Dr. Müller – mit der Untersuchung der Grundformulierung aus dem reinen Bindemittel und Sand beginnen. Dabei wird mittels Röntgenbeugung aufgeklärt, welcher Peak im Ultraschallverfahren welche Hydratationsreaktion abbildet. Ist diese Zuordnung einmal getroffen, kann der Entwickler ein Additiv einmischen und betrachten, wie sich die Peaklagen in der Ultraschallbeschleunigungskurve verändern. Zur Sicherheit sollte der Entwickler nach Abschluss der Formulierungsarbeiten das Ergebnis nochmals per Röntgenbeugung überprüfen.

Vorteil für den Entwickler ist eine deutliche Zeit- und Kostenersparnis: Es ist nicht mehr notwendig, nach jedem einzelnen Formulierungsschritt eine Röntgenbeugung durchzuführen. Für die Optimierung einer Formulierung genügen jetzt insgesamt eine oder maximal zwei dieser aufwendigen Untersuchungen – deutlich weniger, als bislang notwendig waren.

WACKER bietet den Nutzern des Softwaremoduls den Service, an ihren Proben die notwendigen zeitaufgelösten Röntgenbeugungsuntersuchungen durchzuführen. Die Untersuchungen erfolgen am Synchrotron des Paul-Scherrer-Instituts im schweizerischen Villigen.

„Wir setzen die Funktionsgleichung für den gesamten Abbindeprozess aus einzelnen Termen zusammen und passen die Gleichung an die Messkurve an.“

Dr. Ingo Müller, R&D Manager, WACKER POLYMERS

Auftragen von Fliesenkleber: Additive bestimmen die Eigenschaften des Materials, beispielsweise, wie lange es sich verarbeiten lässt.

Auftragen von Fliesenkleber: Additive bestimmen die Eigenschaften des Materials, beispielsweise, wie lange es sich verarbeiten lässt.

Verschobene Peaks

Ganz ohne Röntgenbeugung lässt sich die Ultraschallmethode zur Qualitätskontrolle nutzen. Hierzu schaut der Trockenmörtelhersteller nur, ob sich der zu prüfende Mörtel beim Abbinden genauso verhält wie ein Mörtel aus einer einwandfreien Produktcharge. Sollten sich ein oder mehrere Peaks verschoben haben, liegt ein Qualitätsproblem vor.

Etliche Baustoffhersteller wenden das Logistic Fitting Module bereits in der Praxis an. So war auch die Knauf-Gruppe sofort bereit, das Softwaremodul zu testen. Knauf ist eines der weltgrößten und bekanntesten Unternehmen der Baustoffbranche.

Diplomingenieurin Nina Krawtschenko, die in der Forschung und Entwicklung von Knauf tätig ist, prüft derzeit das Softwaremodul anhand bestehender Mörtelformulierungen, um die von der Software gelieferten Informationen mit anderen Untersuchungsmethoden verifizieren zu können. Ihr Kommentar: „Unsere ersten Erfahrungen sind sehr positiv. Besonders attraktiv ist für uns, dass wir die Wirkung eines Additivs besser verstehen können. Schon jetzt sind wir hoch motiviert, das Softwaremodul in Zukunft auch bei unseren Neuentwicklungen einzusetzen.“

Kontakt

Mehr Informationen zum Thema erhalten Sie von

Herr Dr. Ingo Müller
R&D Manager
WACKER POLYMERS
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