Produkt mit Siliconkautschuk

Leistungsfähige Produkte für brandsensible Anwendungen

01.10.2019 Lesezeit: ca. MinutenMinute

Schwer entflammbar

In Zügen gelten seit jeher besonders strenge Brandschutz­vorschriften, die jetzt innerhalb der EU noch einmal verschärft wurden. Mit seinen Siliconkautschuken bietet WACKER leistungsfähige Produkte für brandsensible Anwendungen, die bereits einen Großteil dieser Anforderungen erfüllen. Eine neu entwickelte Type komplettiert nun das Portfolio.

Bewusstlos nach wenigen Atemzügen. Giftige Rauchgase sind im Fall eines Brandes mit Abstand die häufigste Todesursache: Als Qualm nehmen Rauchgase den Menschen nicht nur die Sicht und damit die notwendige Orientierung, um sich möglichst aus der Gefahrenzone in Sicherheit zu bringen. Noch gefährlicher sind die enthaltenen toxischen Verbindungen. Kohlenmonoxid, das zur Bewusstlosigkeit führt, ist das bekannteste Beispiel. Heute weiß man: In Rauchgasen können sich mehr als 5.000 verschiedene Substanzen verbergen, die für den Menschen schädlich sind. Über 90 Prozent der Opfer sterben bei einer Brandkatastrophe nicht aufgrund der heißen Flammen, sondern an einer Rauchvergiftung. Sie werden ohnmächtig und können sich nicht mehr ins Freie retten.

„Vor allem in Massenverkehrsmitteln wie Zügen gelten deshalb sehr strenge Brandschutzvorschriften, damit die Passagiere im Ernstfall das Fahrzeug möglichst unbeschadet verlassen können“, betont Dr. Martin Bortenschlager, Senior Marketing Manager für Rubber Solutions bei WACKER SILICONES. Und immer wieder werden diese Brandschutzvorschriften verschärft. Eine neue europaweite Norm, die nationale Standards ablöst und seit 2018 für alle Hersteller von Schienenfahrzeugen verbindlich ist, hat die Anforderungen noch einmal deutlich erhöht. Alle in Schienenfahrzeugen verbauten Komponenten müssen nun dem Standard EN 45545-2 entsprechen.

Zur Produktion von gummielastischen Bauteilen greifen Hersteller immer häufiger auf Siliconkautschuke zurück. „Deren Vulkanisate – die Siliconelastomere – sind generell schwer brennbar, entwickeln im Brandfall nur geringe Rauchmengen und sind daher hervorragend für den Einsatz in Schienenfahrzeugen wie auch öffentlichen Gebäuden geeignet – alles Anwendungen, die unter Brandschutzaspekten besonders sensibel sind“, fährt Dr. Bortenschlager fort. Zudem entstehen, wenn Silicone doch einmal brennen sollten, keine halogenhaltigen Verbindungen, was die Toxizität der Rauchgase deutlich reduziert.

Züge im Bahnhof

Chinesische Hochgeschwindigkeitszüge im Bahnhof von Shanghai

5.000 und mehr verschiedene Substanzen, die für den Menschen schädlich sind, können sich in Rauchgas verbergen.

Die Norm EN 45545-2 verfügt über drei verschiedene Gefährdungsstufen (Hazard Level/HL)

Betriebsart
1: Fahrzeuge, die auf der Oberfläche fahren
2: Fahrzeuge, die in Tunneln mit einer Länge von max. 5 km fahren
3: Fahrzeuge, die in Tunneln mit einer Länge von über 5 km fahren
4: Fahrzeuge, die in Tunneln fahren, bei denen keine Evakuierungsmöglichkeit von der Seite besteht.

Bauart
A: Automatisch, ohne für Notfälle trainiertes Personal
D: Doppelstockwagen
S: Schlafwagen
N: Andere typische Standardzüge

Grafik

Anforderungen gestiegen

Mit dem neuen Festsiliconkautschuk ELASTOSIL® R 771 bietet WACKER den Her­stellern von Komponenten für Schienen­fahr­zeuge nun ein Material an, das die anspruchsvollen Anforderungssätze R1 und R7 der europäischen Brandschutznorm EN 45545-2 erfüllt. Dazu zählen Tür- und Fensterprofile und Faltenbälge, die in Wagenübergängen eingesetzt werden.

Die EN 45545-2, die neue europäische Brandschutznorm für Schienenfahrzeuge, basiert auf verschiedenen Kategorien: Es erfolgt zunächst eine Zuordnung zu einer von vier Betriebsklassen, den sogenannten Operating Classes, die die jeweilige Infrastruktur und damit die Geschwindigkeit von Evakuierungen berücksichtigt. Die höchste Betriebsklasse gilt zum Beispiel für unterirdische Streckenabschnitte, weil Rettungsmaßnahmen hier schwerer möglich sind.

Zudem unterscheidet die Richtlinie zwischen vier verschiedenen Bauartklassen der Züge, sogenannten Structural Train Classes. Sie geben beispielsweise an, ob es sich um einen Schlafwagen handelt oder ein Doppelstockfahrzeug. Aus Betriebs- und Bauartklasse ergibt sich dann, welche brandschutztechnischen Anforderungen an die verbauten Komponenten und Materialien gestellt werden. Beispielsweise müssen alle Werkstoffe in Schlafwagen, die lange Tunnelabschnitte durchqueren, höhere Anforderungen erfüllen als Regionalzüge, die häufig überirdisch anhalten und sich schneller evakuieren lassen.

Anhand einer Matrix aus Betriebs- und Bauartklasse ergibt sich die Gefährdungsstufe, kurz HL für Hazard Level. HL1 geht mit den geringsten, HL3 mit den höchsten Anforderungen einher. Die Gefährdungsstufe bildet ab, welche Anforderungen und Grenzwerte eine Komponente erfüllen muss, damit das Brand­risiko auf ein vertretbares Maß reduziert wird. Für etwa 80 bis 85 Prozent der Schienenfahrzeuge ist es ausreichend, dass Bauteile die HL2-Vorgaben erfüllen.

Silicontechnikum Burghausen

Im Silicontechnikum in Burghausen wird die Herstellung von ELASTOSIL® R 771 in einem sogenannten Strainer demonstriert.

„Dies ist auch das Mindestziel, das unsere Entwickler sich für die Spezialtypen der ELASTOSIL®-Reihe gesetzt haben“, erklärt Dr. Andreas Bacher, der ein anwendungstechnisches Labor für Siliconkautschuke bei WACKER in Burghausen leitet. Nach zahlreichen Tests, die nach den neuen Richtlinien durchgeführt wurden, haben eine Reihe von Siliconkautschuktypen und Shore-A-Härtegrade die entsprechenden Zertifikate erhalten. „So konnten wir nachweisen, dass WACKER Herstellern bestimmter Baugruppen mit dem vorhandenen ELASTOSIL®-Portfolio bereits Produkte zur Verfügung stellt, die für die Anforderungssätze R22 und R23 Hazard Level 3 (HL3) erreichen“, berichtet Dr. Bacher weiter. „Neue Test­methoden – beispielsweise eine neue Untersuchung zur Flammenausbreitung – offenbarten allerdings noch weitergehende Marktbedürfnisse.“ Die Verarbeiter verlangen nach Siliconelastomeren, die im Hinblick auf solche brandschutzkritischen Anwendungen noch mehr optimiert wurden. Bauteile, die aus ELASTOSIL® R 771 gefertigt werden, fallen in Klasse HL2 und erfüllen die weitergehenden Anforderungssätze R1 und R7.

Profile

Typische Profile, die aus ELASTOSIL® R 771 mittels Extrusion hergestellt wurden.

Kombination aus Füllstoffen

Bei der Entwicklung von ELASTOSIL® R 771 kam das Formulierungs-Know-how in mehrfacher Hinsicht zum Tragen: Um die neuen Brandschutzauflagen zu erfüllen, modifizierten die Experten den Siliconanteil und erarbeiteten die optimale Kombination an Füllstoffen. So erreichten sie eine bestmögliche Rheologie des Siliconkautschuks und konnten gewährleisten, dass die Moleküle die ideale Vernetzungsdichte haben. Das wiederum ermöglicht es den Kunden, die gewünschten mechanischen Eigenschaften ihrer Produkte einzustellen.

Silicone haben generell den Vorteil, dass sie sich nur schwer entzünden lassen und somit bereits von sich aus eine hohe Brandsicherheit bieten. Zudem brennen Silicone von selbst nicht weiter. Wird die Zündquelle entfernt, verlöschen die Flammen in kurzer Zeit. Gleichzeitig bilden sich im Brandfall kaum toxische Gase, sondern hauptsächlich Kohlendioxid, Wasser und Siliciumdioxid. Ein weiterer Vorteil: Der entstehende Rauch ist im Falle von ELASTOSIL®-Produkten nicht schwarz, sondern weiß und somit lichtdurchlässiger, sodass er die Orientierung in der Gefahrenzone deutlich weniger behindert.

Zudem besitzen Siliconkautschuke eine Reihe weiterer Vorteile. Sie sind hochtemperaturstabil, altern selbst unter anhaltender UV-, Sauerstoff- oder Ozoneinwirkung nicht und bleiben bei niedrigen Temperaturen bis minus 40 Grad Celsius dauerhaft elastisch, ohne dass ein Weichmacherzusatz notwendig ist.

Wie das Vorgängerprodukt ELASTOSIL® R 770 handelt es sich bei ELASTOSIL® R 771 um ein peroxidisch vernetzendes System. Das zur Vernetzung notwendige Peroxid wird vom Verarbeiter während der Produktion hinzugemischt. Vorgemischte Produkte stehen jedoch ebenfalls zur Verfügung.

Fahrgastabteil

Fahrgastabteil eines Hochgeschwindigkeitszugs der polnischen Bahn

ELASTOSIL® R 771 ist derzeit mit einer Shore-A-Härte von 60 und 70 erhältlich. Beide Varianten besitzen nach der Vernetzung eine Reißdehnung von 430 und 260 Prozent. WACKER arbeitet bereits an der Entwicklung einer weiteren Variante, die eine Shore- A-Härte von 50 aufweist. Hinsichtlich der Verarbeitung des neuen Siliconkautschuks ändert sich für die Hersteller von Zugbauteilen nichts. Er lässt sich mit den gängigen Formpressverfahren (Moulding-Verfahren), durch Extrudieren oder Kalandrieren verarbeiten. Es können elastische Formteile und Profile sowie Platten, Folien und gewebeverstärkte Siliconbahnen produziert werden.

Auch in öffentlichen Gebäuden werden nationale Normen zunehmend durch neue EU-Richtlinien ersetzt. Ebenso wie bei den Schienenfahrzeugen haben die Dichte und Toxizität von Rauchgasen in diesen Vorschriften eine immer größere Bedeutung ein. Da sämtliche Silicone der ELASTOSIL®-Reihe halogenfrei sind und deswegen im Brandfall kein gesundheitsschädlicher, korrodierender Chlorwasserstoff entsteht, eröffnen sich neue Anwendungsmöglichkeiten wie in Brandschutzvorhängen, Dämmungen sowie Fenster- und Türdichtungen.

„Auch in Zukunft ist damit zu rechnen, dass die Brandschutzvorschriften weiter verschärft werden.“ Materialhersteller stünden somit permanent vor neuen Herausforderungen. „Daher werden wir unsere ELASTOSIL®-Reihe stetig weiterentwickeln, um Herstellern solcher Bauteile geeignete und richtlinienkonforme Siliconprodukte anbieten zu können – ob nun für Schienenfahrzeuge oder öffentliche Gebäude."

Dr. Martin Bortenschlager, Senior Marketing Manager für Rubber Solutions bei WACKER SILICONES

Kontakt

Mehr Informationen zum Thema erhalten Sie von

Herr Dr. Martin Bortenschlager
Director Business Team Engineering Silicones
Rubber Solutions, WACKER SILICONES
+49 89 6279-1982
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