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Gel mit Grips

Isolierungen aus Silicongel sind in der Elektrotechnik bereits etabliert. Jetzt wollen Wissenschaftler von WACKER und der Universität Kassel den Kunststoff mithilfe spezieller, elektrisch aktiver Füllstoffe partiell leitfähig machen – das eröffnet völlig neue Anwendungsbereiche.

Wer die Kaffeeküche des Lehrstuhls für Anlagen und Hochspannungstechnik an der Universität Kassel betritt, muss damit rechnen, von einem kamerabestückten Multikopter empfangen zu werden. Manchmal steuert Professor Dr. Albert Claudi, der Lehrstuhlinhaber, seine fliegende Kamera für Tests durch die Bürotür in die Kaffeeküche und zurück. Den Standard-Drohnen aus dem Versandhandel, mit denen stolze Hobbygärtner ihre Gartenbaukunst aus der Luft dokumentieren, hat Claudis Multikopter eines voraus – nämlich gestochen scharfe Bilder. Damit die Bilder nicht verwackeln, hat der Elektrotechniker die Kamera in Silicongel gebettet – das dämpft die Erschütterungen. Professor Claudi hat mit den Silicongelen aber noch viel mehr vor: Zusammen mit WACKER forscht er an der Weiterentwicklung der Kunststoffe und deren technischen Eigenschaften.

„Mit einem intelligenten Silicongel würden Fehlstellen oder ungleichmäßige Oberflächen in Stromleitern künftig weniger Probleme bereiten.“

Prof. Albert Claudi, Universität Kassel

Elektrifizierung im Auto steigt

Im Alltag sind Silicongele nicht mehr wegzudenken: Die Kunststoffe stecken zum Beispiel in Aluminiumkästchen, die unter dem Beifahrersitz vieler Autos eingebaut sind. Darin verbirgt sich die Steuereinheit für Gurtstraffer und Airbag. Rund zehn weitere solcher Microcomputer rollen in fast jedem Pkw heute über die Straßen – vor allem im Motorraum finden sich die Aluschatullen.

„In Fahrzeugen wird immer weniger Mechanik genutzt und die Elektrifizierung hat sehr stark zugenommen“, sagt Jens Lambrecht, Global Product Development Manager bei WACKER in Burghausen. Silicongele der Marke POWERSIL® halten Feuchtigkeit von der sensiblen Elektronik ab und schützen zuverlässig vor Korrosion. Ihr Vorteil: Sie sind weich und verursachen deshalb keine mechanischen Belastungen auf die Bauteile. Und das bleibt auch so bei Temperaturen von minus 50 Grad Celsius bis zu den maximal denkbaren Einsatztemperaturen im Fahrzeug. Spezialtypen halten sogar Temperaturen von minus 100 bis plus 250 Grad Celsius stand. Das kann kein vergleichbares Material. „Harte Vergussmaterialien, beispielsweise Epoxidharz, würden sich unter diesen Bedingungen zusammenziehen und ausdehnen und die empfindliche Elektronik regelrecht zerquetschen“, erklärt Lambrecht.

Darüber hinaus bieten Silicone auch prozesstechnische Vorteile bei der Verarbeitung. Die Platinen können mit der dünnflüssigen Siliconmasse übergossen werden. Erst danach nimmt sie eine gelartige Konsistenz an und verklebt an Ort und Stelle. Auch die Ausdehnung bei Hitze ist inzwischen kontrollierbar, denn dank der Forschungen von Professor Claudi von der Universität Kassel und der Wacker Chemie AG lassen sich Silicongele mittlerweile auch verdichten.

Das Ziel sind Intelligente Silicone

Professor Dr. Albert Claudi vor der Universität Kassel: Nach zwölf Jahren bei namhaften Industrieunternehmen wechselte er im Jahr 2000 auf den Lehrstuhl für Anlagen- und Hochspannungstechnik.

Die Wissenschaftler wollen die gut isolierende Masse jetzt modifizieren und so ein intelligentes Silicongel entwickeln. Dafür fügen sie dem besonders reinen Stoff Millionen kleinster Partikel aus Metalloxid-Gemischen hinzu. Die Teilchen, beispielsweise sogenannte Mikrovaristoren, wirken in ihrem Inneren als Nanowiderstände und sind – abhängig von der lokal auftretenden Feldstärke – unterschiedlich leitfähig. Derart angereichert, bekommt das POWERSIL® Gel im Hochspannungsbereich besondere Eigenschaften: Bei einer niedrigen Feldstärke wirkt es weiterhin gut isolierend. Bei einer hohen Feldstärke wird es leitfähig. Denkbare Anwendungen sind vielfältig: „Mit dem intelligenten Gel würden Fehlstellen oder ungleichmäßige Oberflächen in Stromleitern künftig weniger Probleme bereiten“, erklärt Professor Claudi. Denn an solchen Stellen treten häufig hohe Feldstärken auf. Sie sind der Auslöser für Entladungen und verursachen im schlimmsten Fall einen Durchschlag – mit möglicherweise dramatischen Folgen.

Das Gel verdrängt das elektrische Feld aber genau an diesen Stellen durch die lokal erhöhte Leitfähigkeit. „Viele Apparate ließen sich auf diese Weise kompakter bauen. Verbindungsbauteile etwa brauchen immer noch viel Platz für Isolierstoffe“, berichtet Claudi. Und es gibt viel Raum für weitere Forschungen: Welchen Einfluss hat die Partikelgröße? Lässt sich Silicongel auch mit anderen Materialien modifizieren? Wie verlässlich sind die Gele noch, nachdem sie zehn Jahre und länger im Einsatz waren?

Ideen liegen in der Schublade

Die Anwendungsgebiete für Silicongele sind also groß: Und Ideen für den nächsten Entwicklungsschritt hat Professor Claudi längst in der Schublade. Denn er bringt mehr als zehn Jahre Erfahrung in Isolierung und Elektrik mit: Schließlich sind auch seine Multikopter kein Freizeitvergnügen, sondern gedacht zum Abfliegen und Überwachen von Hochspannungsleitungen.

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