Frau an einer digitalen Anzeigetafel

Leistungs­fähiges Material mit Potenzial

01.10.2019 Lesezeit: ca. MinutenMinute

Impulse aus Siliconsandwichen

Dank ihrer elektroaktiven Eigenschaften können Laminate, die aus Elektroden und hauchdünnen Siliconfolien bestehen, Bewegungen messen, sich dehnen und wieder zusammenziehen. WACKER fertigt künftig aus diesen Laminaten vorkonfektionierte Elektronikkomponenten für Sensoren oder Aktuatoren, die vom Kunden lediglich mit den notwendigen elektrischen Anschlüssen versehen werden müssen.

Sie richten Scheinwerfer aus, fahren Seitenspiegel in die richtige Position oder regulieren beim Radio die Lautstärke: Rund 300 Aktuatoren führen im Auto unterschiedlichste Funktionen aus – vom Antriebsstrang bis zur Zentralverriegelung. Die Einheiten nutzen elektrische Impulse, um sie in Bewegung umzuwandeln. Aber nicht nur im Automobil, auch in der Robotik, der Elektroindustrie oder der Medizintechnik spielen Aktuatoren eine große Rolle. Vor allem neuartige Varianten, die auf elektroaktiven Polymeren basieren, stoßen in diesen Branchen aufgrund ihrer positiven Eigenschaften auf zunehmendes Interesse.

WACKER hat mit seiner hauchdünnen Präzisionsfolie aus Silicon, die bereits seit 2013 unter dem Namen ELASTOSIL® Film auf dem Markt ist, ein leistungsfähiges Material mit Potenzial kreiert. „Jetzt setzen wir diese Technologie auch in konkrete Produkte um und machen sie damit für den Markt noch besser verfügbar“, sagt Renate Glowacki, die im Global Business Development von WACKER SILICONES für die weltweite Vermarktung der Siliconfolien verantwortlich ist.

Produktionsanlage

Produktionsanlage für NEXIPAL®-Laminate bei WACKER. Der Elektrodendruck ist flexibel und kann somit auf die Bedürfnisse jedes Kunden zugeschnitten werden.

Vertikale Integration

Mit der Fertigung von Laminaten vollzieht WACKER eine vertikale Integration und bewegt sich damit auf der Wertschöpfungskette einen Schritt vorwärts in Richtung industrieller Anwendung. Anhand eines Exponats, das in der Zusammenarbeit mit der Universität des Saarlandes entstanden ist, können Besucher der Kunststoffmesse K 2019 (16. bis 23. Oktober in Düsseldorf) die Sensor-Aktuator-Funktionen der Laminate selbst ausprobieren.

Aufbau Smartphone

Siliconelastomere zählen aufgrund ihrer dielektrischen Eigenschaften zu den elektro­aktiven Polymeren, kurz EAPs. „Wenn jeweils eine einzelne dünne Folie zwischen zwei Elektroden eingebettet ist, entsteht ein Laminat – dies sind flächig miteinander verbundene Schichten“, sagt Dr. Andreas Köllnberger, der bei WACKER maßgeblich an der Entwicklung der Siliconfolien beteiligt war. Wird an dieses „Sandwich“ eine elektrische Spannung angelegt, entsteht ein flexibler Kondensator: „Die Elektroden ziehen sich infolge ihrer entgegengesetzten Ladung elektrostatisch an und verformen die dazwischenliegende Siliconfolie, sodass sie dünner, aber gleichzeitig länger und breiter wird“, berichtet der WACKER-Chemiker Dr. Köllnberger. „Im Volumen bleibt sie damit gleich.“ Der Kondensator wird also insgesamt dünner, aber auch großflächiger. Im entladenen Zustand nimmt das Laminat infolge seiner Elastizität wieder die ursprüngliche Gestalt an.

EAP-Laminat

Zusammengesetzt sieht der Endanwender nur das flache Display, das sich bei Druck an entsprechenden Stellen hebt und senkt oder zu vibrieren beginnt und auf diese Weise virtuelle Tasten haptisch fühlbar macht.

Dieser gesamte Vorgang verläuft geräuschlos und lässt sich millionenfach wiederholen. „Da sich die Verformung gezielt steuern lässt, eignen sich diese EAP-Laminate, die unter dem Namen NEXIPAL® auf den Markt gebracht werden, als Aktuatoren, die elektrische Spannung in mechanische Bewegung umsetzen. Umgekehrt können EAP-Laminate aus mechanischer Bewegung – beispielsweise durch den Druck eines Fingers – kapazitive Veränderungen erzeugen; sie lassen sich somit als Sensoren einsetzen. Auch neuartige Generatoren sind möglich“, ergänzt Dr. Johannes Neuwirth, der als Experte für die technische Auslegung im Global Business Development von WACKER SILICONES diese Vorwärtsintegration verantwortet.

WACKER präsentiert auf der K 2019 ein Exponat, das die Kombination aus Sensor und Aktuator veranschaulicht. Dabei handelt es sich um ein Smartphone, das auf einer Konstruktion mit EAP-Elementen befestigt ist. Diese bewegen das Gerät geringfügig, aber sehr schnell auf und ab, sobald man mit leichtem Fingerdruck über bestimmte Stellen des Displays fährt. Dadurch entsteht der Eindruck von einer geriffelten Oberfläche oder sogar von Tasten, die eigentlich gar nicht vorhanden sind.

Vorteile von EAP-Laminaten

Das Exponat demonstriert nicht nur die Funktion der Laminate und der integrierten elektroaktiven Polymere. Es zeigt auch die Potenziale auf, die ein solches haptisches Feedback für diverse Anwendungen bietet. Beispielsweise können Autofahrer Bedienelemente in der Mittelkonsole durch Ertasten besser finden – ganz ohne Blickkontakt. Die Aktuatorelemente ermöglichen zudem größere Designfreiheit: Das heißt, es können dünnere oder schmälere Bauformen im Vergleich zu Magnetventilen realisiert werden. Auch unterliegen die Oberflächen, sprich die Knöpfe, der Designfreiheit. Knöpfe können eckig, rund oder in jeder beliebigen Form realisiert werden, je nach Algorithmus, der hinter der jeweiligen Programmierung steht.

EAP-Aktuatoren aus Siliconlaminaten sind außerdem kompakt und dadurch platzsparend. Sie brauchen bis zu 30 Prozent weniger Platz und sind bis zu 40 Prozent leichter als konventionelle Bauelemente, je nach Auslegung und Design. Auch der Energiebedarf von EAP-Aktuatoren ist gering: Im Vergleich zu konventionellen Aktuatoren benötigen sie weniger als zehn Prozent der gesamten elektrischen Energie. Damit sind EAP-Aktuatoren äußerst energiesparend und nachhaltig. Dies und ihre geräuschlose Funktionsweise machen das innovative Laminat zu einem geradezu idealen Bauteil nicht nur für Elektrofahrzeuge.

WACKER produziert den hochpräzisen Siliconfilm in Stärken zwischen 20 und 400 Mikrometern, wobei die Dicke über die gesamte Breite weniger als fünf Prozent schwankt. Diese Homogenität ist ausschlaggebend für ein gleichmäßiges elektrisches Feld. Nur dadurch ist gewährleistet, dass die späteren NEXIPAL®-Laminate optimal und zuverlässig funktionieren.

Der Präzisionsfilm wird zu 100 Prozent aus additionsvernetzenden Siliconkautschuken erzeugt. Um Verschmutzungen auszuschließen, erfolgt die Produktion im Reinraum. Die Folien sind, wie alle Siliconkautschuke, hitze- und UV-beständig, kälteflexibel und chemisch inert. Zudem sind sie extrem elastisch und leiern nicht aus. „Unsere Tests zeigen, dass ELASTOSIL® Film mehr als zehn Millionen Druckbelastungszyklen ohne Materialermüdung übersteht“, betont der WACKER-Chemiker Dr. Andreas Köllnberger.

Von der Siliconfolie zu NEXIPAL®

Als WACKER 2013 mit der Herstellung von Siliconfolien begann, betrat das Unternehmen in gewisser Weise Neuland. Bis dahin hatte der Chemiekonzern sich darauf beschränkt, Siliconkautschuke als unvernetzte Rohstoffe auf den Markt zu bringen.

Im Fall der Siliconfilme kam jedoch bei einer Reihe von Kunden sehr schnell das Bedürfnis auf, ein weiterverarbeitetes Halbzeug – ein EAP-Laminat – erwerben zu können. Deshalb entschied sich der Konzern, diese Lücke in der Verarbeitungskette selbst zu schließen.

WACKER-Experten haben sich inzwischen intensiv mit den technischen Anforderungen, die beispielsweise mechatronische Systeme an EAP-Bauteile stellen, auseinandergesetzt und entsprechendes Know-how aufgebaut. Derzeit entsteht eine Produktionsanlage für EAP-Laminate. Dabei handelt es sich um vorkonfektionierte EAP-Komponenten, die dann vom Kunden lediglich mit der notwendigen elektrischen Anbindung versehen werden. Voraussichtlich Mitte 2020 sollen die ersten dieser Komponenten unter dem Namen NEXIPAL® vom Band laufen.

Smartphone

Ein Smartphone, das mit Laminaten aus elektroaktiven Polymeren ausgestattet ist, lässt sich quasi blind bedienen. Die verschiedenen Applikationen lassen sich fühlen – und dennoch bleibt die Oberfläche des Displays „glatt“.

Bei der Herstellung der Laminate wird der bestehende Siliconfilm mit einem speziellen leitfähigen Material beschichtet. Letzteres fungiert als Elektrode. Die neue Anlage kann mehrere solcher Schichten produzieren. Größe und Form des Laminats sind flexibel, unter anderem auch weil das Elektrodendesign kundenspezifisch bestellt werden kann.

EAP-Bauteile lassen sich auch als Streifen herstellen. Diese können die Kunden anschließend zum Beispiel in gerollte Aktuatoren überführen.

„Bei der Entwicklung des Produktionsprozesses gab es einige Herausforderungen zu bewältigen“, berichtet Dr. Johannes Neuwirth. So dürften EAP-Sandwiche keine Lufteinschlüsse zwischen den einzelnen Lagen aufweisen. „Auch die Handhabung der hauchdünnen Folien innerhalb des Beschichtungsprozesses war ein komplexes Unterfangen“, erzählt Neuwirth weiter. Wie stark sich EAP-Aktuatoren zusammenziehen können und welche Auslenkung sie durch diese Bewegung leisten, hängt von mehreren Faktoren ab. Eine große Rolle spielt dabei die sogenannte Ansteuerspannung, die an der EAP-Komponente anliegt. Aus diesem Grund müssen Siliconfolien möglichst dünn sein.

„Je dünner der Film, desto niedriger kann die angelegte Spannung sein, um den gewünschten Bewegungseffekt zu erzielen. Deswegen arbeiten wir daran, die Foliendicke weiter zu reduzieren.“

Dr. Andreas Köllnberger, WACKER-Chemiker

Intelligentes Design

Auch durch die Verwendung qualitativ hochwertiger Elektroden und durch ein intelligentes Design der EAP-Komponente lässt sich die notwendige Spannung reduzieren. Eine weitere Möglichkeit um die Spannung zu reduzieren, besteht in der Erhöhung der Permittivität von Silicon­folien, beispielsweise im Dotieren mit speziellen Partikeln. Zudem können mithilfe von Federkonstruktionen Bauteile hergestellt werden, die eine beträchtliche Auslenkung erreichen.

Neben den bereits erwähnten Vorteilen weisen EAP-Aktuatoren einen weiteren Pluspunkt auf: Sie lassen sich wie künstliche Muskeln einsetzen, die – im Gegensatz zu Magnetventilen – in der Lage sind, fließende Bewegungen durchzuführen.

Diese Eigenschaft macht Siliconlaminate nicht nur für die Automobil- und Elektroindustrie interessant, sondern auch für die Medizintechnik, Sensorik und Robotik. Sogar im Bereich der gedruckten Elektronik finden die Silicon-Sandwiche Anwendung.

„Ob als Bestandteil von biomimetischen Robotern, portabler Medizintechnik oder Instrumenten zur Mensch-Maschine-Kommunikation – elektroaktive Siliconlaminate sind in vielen zukunftsträchtigen Anwendungen denkbar.“

Renate Glowacki, Global Business Development von WACKER SILICONES

Produktion EAP-Laminate

Produktionsprozess für EAP-Laminate der Marke NEXIPAL®

Funktionsweise eines Aktuators und Sensors aus NEXIPAL®-Laminat

Dank ihrer elektroaktiven Eigenschaften können Laminate aus Siliconfolien als Aktuatoren oder als Sensoren eingesetzt werden. Aktuatoren sind antriebstechnische Bauelemente, die ein elektrisches Signal, ausgegeben von der Steuerelektronik, in mechanische Bewegung umsetzen. Sensoren funktionieren nach ähnlichem Prinzip: Mechanische Bewegungen werden kapazitiv gemessen.

An das NEXIPAL®-Laminat, bestehend aus mindestens einer hauchdünnen Folie und mindestens zwei Elektroden, wird eine Spannungsquelle angelegt, damit es als Aktuator fungieren kann.

Silicone Sandwich

Wird die Spannungsquelle angeschaltet, so lädt sich eine Elektrode positiv, die andere negativ auf. Die Elektroden ziehen sich gegenseitig an und verformen die Siliconfolie. Dadurch wird die Siliconfolie dünner, aber breiter, sodass das Volumen erhalten bleibt. Der Aktuator bewegt sich. Wird die Spannung ausgeschaltet, drückt die Siliconfolie – die nach ihrem Ausgangszustand strebt – die Elektroden wieder auseinander.

Silicone Sandwich

Ähnlich ist die Funktionsweise eines EAP-Sensors. Es wird ein Messinstrument an das NEXIPAL®-Laminat angeschlossen, um die Kapazität zu messen.

Silicone Sandwich

Anschließend kann das NEXIPAL®-Laminat mit Druck- oder Zugbewegungen verformt werden. Zwischen den Elektroden baut sich ein elektrostatisches Feld auf, das sich mit der Distanz zwischen den Elektroden ändert.

Silicone Sandwich

Da die Siliconfolie mit wenig Kraft verformt werden kann, reicht schon ein leichter Druck mit dem Finger, um die Elektroden näher zusammenzuführen. Die Distanz zwischen den Elektroden ändert sich und somit auch die Kapazität, was sich am Messgerät ablesen lässt. Sobald man den Finger entfernt, drückt die Siliconfolie die Elektroden wieder in ihren ursprünglichen Zustand auseinander.

Silicone Sandwich

Kontakt

Mehr Informationen zum Thema erhalten Sie von

Frau Renate Glowacki
Business Development Manager
Engineering Silicones
+49 89 6279-1813
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