Goldröhrling (Suillus grevillei), rechts: Zitterzahn (Pseudohydnum gelatinosum)

Filigrane Kunst­stoff­nach­bildungen

Die Welt der Pilze hält viele Millionen Arten bereit, von denen die meisten noch unerforscht sind. Um sie für die Nachwelt zu erhalten, hat der Bremer Präparator Klaus Wechsler ein eigenes Verfahren entwickelt, das auf Siliconabformmassen von WACKER setzt.

01.03.2018 Lesezeit: ca. MinutenMinute

Ein weites Feld

Dutzende Ohrförmige Seitlinge wuchern über einen verrotteten Baumstamm, feuerrote Tentakel hebt ein Tintenfischpilz in die Höhe und appetitlich glänzt der prächtige Hut des Goldgelben Lärchenröhrlings. Mehr als 1.000 Pilze – vom schmackhaften Pfifferling bis zum gigantischen Riesenbovist – begeistern die Besucher einer aktuellen Ausstellung im Museum Wiesbaden. Sie geben einen faszinierenden Einblick in die enorme Artenvielfalt dieser Gewächse, die ein eigenes Reich zwischen Tier- und Pflanzenwelt besiedeln. Ein Reich, das bis zum heutigen Tage mit geschätzten vier bis fünf Millionen Arten noch weitestgehend unerforscht ist. Nur etwa 130.000 Arten sind bekannt und beschrieben.

Allerdings: Es sind keine echten Fundstücke, die da in der Ausstellung „Pilze – Nahrung, Gift und Mythen“ präsentiert werden. Es sind filigrane Nachbildungen aus den Händen von Klaus und Lilo Wechsler. Der gelernte biologische Präparator und seine Frau nehmen vom Frischpilz eine Negativform aus Siliconkautschuk ab. Auf dieser Basis wird ein eingefärbter Kunststoffausguss mit feinsten Details erstellt, die bis in einen Bereich von fünf Mikrometern reichen.

Seit den 1970er-Jahren begeistern sich Klaus und Lilo Wechsler, die in Ellener Feld leben, einem fast ländlichen Stadtteil von Bremen, für die Welt der Pilze. „Aber es geht uns nicht ums Essen“, sagt Klaus Wechsler. Mit den verblüffend detailreichen Pilzkopien wollen sie das Bewusstsein für die Schönheit der Natur stärken. „Die Menschen müssen das Sehen wieder lernen“, sagt er und rät allen, mit offenen Augen durch die Wälder zu laufen.

„Sei es Größe, Form oder Farben: Die Arbeiten von Klaus Wechsler sind perfekt naturgetreu. Nur Informationen über Gerüche und Texturen der Pilzfruchtkörper liefern diese Objekte nicht.“

Meike Piepenbring, Professorin für Mykologie, Universität Frankfurt

Tintenfischpilz (Clathrus archeri)

Filigrane Kunststoffnachbildungen, die Klaus und Lilo Wechsler mittels Silicon von den Originalen abgeformt und dann von Hand bemalt haben: Tintenfischpilz (Clathrus archeri).

Igel-Stachelbart (Hericium erinaceus)

Das Präparat eines Igel-Stachelbarts (Hericium erinaceus): Der seltene Pilz wächst als Wundparasit an älteren Laubbäumen, zumeist Eichen und Buchen.

Die Fachwelt der Pilzforscher, der Mykologen, ist von Wechslers Arbeit begeistert. Weder Gemälde noch Foto oder getrocknetes Fundstück werden den Pilzfruchtkörpern so gerecht wie Wechslers Kopien. „Sei es Größe, Form oder Farben: Die Arbeiten von Klaus Wechsler sind perfekt naturgetreu“, sagt Meike Piepenbring von der Universität Frankfurt. Als Professorin für Mykologie und wissenschaftliche Beraterin der Wiesbadener Ausstellung muss sie es wissen. Besonders von den teils transparenten, durchscheinenden Präparaten des auf Totholz gedeihenden Zitterzahns oder den langen, stacheligen Strukturen des milchig-weißen Igel-Stachelbarts ist die Mykologin angetan. „Nur Informationen über Gerüche und Texturen der Pilzfruchtkörper liefern diese Objekte nicht.“ Aber das wäre von den aufwendig gefertigten und über lange Zeiträume stabilen Objekten auch etwas zu viel verlangt.

Keine Weltreisen nötig

Ob Granatroter Saftling, Schmetterlingstramete oder Orangegelbe Puppenkernkeule – trotz teils exotischer Namen mussten die Wechslers keine weiten Weltreisen machen. Aufmerksame Wanderungen in einem bayerischen Hochmoor oder in Dänemark reichten für viele verblüffende Funde aus. Alles Regionen, die wenig von Schadstoffen aus Landwirtschaft oder Industrie belastet sind. Etwas Glück gehört aber auch dazu. Selbst wenn sich im Waldboden ein Myzel aus feinsten Fäden, den sogenannten Hyphen, sogar über einige Hektar ausbreiten kann, kommen nicht jedes Jahr sichtbare Fruchtkörper an die Oberfläche. Pilzsammler wissen um diese Launenhaftigkeit. „So bringen mir auch Freunde immer wieder spannende Exemplare mit“, sagt Klaus Wechsler.

Gelangen die Pilze – sanft gebettet auf Torfmoos – in seine Hände, muss es ganz schnell gehen. Jahrelange Erfahrung hat ihn gelehrt, dass sich besonders die Färbung der Pilze schnell verändert. Aufgespießt auf einen dünnen Draht betrachtet Wechsler die Fundstücke.

„Meine Methode setzt einen langen Lernprozess voraus. Sie müssen auf den Pilz eingehen.“

Klaus Wechsler, biologischer Präparator

Mit geschultem Auge erkennt er den Grundton und die darauf am Stiel oder auf dem Hut verteilten Farbsprenkel. Jeden Farbton vergleicht Wechsler mit Farbtafeln in einem handlichen, über die Jahre schon etwas abgegriffenen Buch, in dem weit mehr als 1.000 Farbnuancen aufgelistet sind. Fein säuberlich notiert er die Farbcodes, die die Grundlage für das spätere Bemalen der Pilzkopien bilden. „Das war ein langer Lernprozess“, sagt der Hobby-Mykologe und betont: „Das ist keine Standardmethode. Sie müssen auf den Pilz eingehen.“

Im nächsten Schritt gilt es, alle Strukturen des Pilzes mit allen seinen teils nur wenige Mikrometer feinen Härchen, Lamellen und Riefen mit einer Abformmasse zu konservieren. Wechsler taucht den auf einen Draht gesteckten und festgeklebten Pilz in eine weiße, dünnflüssige Kautschukmasse. Es handelt sich um den zweikomponentigen Siliconkautschuk ELASTOSIL® M von WACKER. Die Masse kriecht in jede Röhre und jede Lamelle, schmiegt sich perfekt an die Strukturen des Pilzes an.

Rekordverdächtig feine Strukturen

„Silicone können solche außerordentlich detailreichen Strukturen dann abbilden, wenn sie über eine extrem gute Fließfähigkeit verfügen – wenn notwendig auch über lange Fließstrecken“, sagt Hans-Rudolf Pfeffer, bei WACKER zuständig für die anwendungstechnische Betreuung von Siliconabformmassen. Oft wird ELASTOSIL® M, das in Dutzenden Typen erhältlich ist, für Formen in der Keramik-, Schmuck- oder auch Lebensmittelindustrie genutzt. Auch Prototypen – beispielsweise von Haushaltsgeräten – entstehen mit Siliconabformmassen. Von der Detailtreue, die diese Kunststoffe ermöglichen, ist Pfeffer auch nach fast 39 Berufsjahren immer wieder begeistert. „Und die feinen Strukturen der Pilzkopien von Herrn Wechsler sind in ihrem Detailreichtum schon rekordverdächtig“, sagt er.

Binnen 24 Stunden vulkanisiert die flexible Siliconkautschukmasse, härtet komplett aus und fixiert die Pilze so naturgetreu wie kein anderes Verfahren. Dann ist viel Geduld angesagt. Wechsler zerschneidet die weiße Siliconkautschukmasse fein säuberlich in meist drei Teile: den Hut in einen Teil und und den Stiel in zwei weitere Teile. Diese Fragmente lagert er bis zu einem Jahr. Während dieser Zeit verrottet der Pilz, sodass die Reste danach leichter und vor allem schonend ausgewaschen werden können.

Aufstellung eines Exponats

Pilzausstellung im Museum Wiesbaden

Biotop-Vitrinen

Die Kunststoffnachbildung eines Zitterzahns (Pseudohydnum gelatinosum)

Negativform von einem Douglasien-Röhrling (Suillus lakei)

Teil der Negativform aus einem Siliconelastomer von einem Douglasien-Röhrling (Suillus lakei)

Die nun saubere Abgussform benetzt Wechsler mit einer Mischung aus Benzin und Vaseline. Ein dünner Film setzt sich auf die Strukturen ab und die Form kann mit einem Epoxidharz ausgegossen werden. Für besonders große Pilze wie den Riesenbovisten mit einem Durchmesser von gut 50 Zentimetern entwickelte Wechsler eigens ein drehbares Rotationsgestell, damit sich die Epoxidharzmasse möglichst gleichmäßig in der Gussform verteilen kann, ebenso wie die beim Aushärten freigesetzte Wärme. Nach jedem Guss wartet der Präparator mindestens einen guten Tag, bevor er die ausgehärtete Pilzkopie vorsichtig aus der flexiblen Siliconkautschukmasse herausschält.

Bis zu 30 Farbschichten

Nun greift Wechsler wieder zu seinem Notizbuch mit den vor über einem Jahr aufgezeichneten Farbcodes. Transparent, halbdeckend, deckend – die Reihenfolge des Farbauftrags ist von großer Bedeutung. „Ich nutze mit Terpentin verdünnte Ölfarben, die sehr lange farbecht sind“, sagt Wechsler. Je nach Färbung trägt er nacheinander 10 bis 30 Farbschichten auf den in Epoxidharz gegossenen Pilz auf. Zwischen jedem Griff zum Pinsel lässt er die Schicht einen Tag trocknen. So können einige Wochen vergehen, bis das Kunstwerk vollbracht ist. „Für eines meiner größeren Objekte habe ich etwa 100 Stunden zum Einfärben gebraucht“, sagt Wechsler. Und die Trocknungszeiten hat er dabei nicht mitgezählt.

Mehr als 1.700 Exponate hat Wechsler mit seinen selbst entwickelten und immer weiter verfeinerten Methoden hergestellt. Wegen ihrer beeindruckenden Qualität gelten sie weltweit als einzigartig. Wie aktuell in Wiesbaden, sind sie für Pilz-Ausstellungen sehr beliebt und begeistern Laien wie Fachleute. Wenn er mit seiner Arbeit einen kleinen Beitrag leisten kann, ein stärkeres Bewusstsein für die Natur zu entwickeln, ist Wechsler schon zufrieden.

Mittlerweile genießt Wechsler seinen Ruhestand. Aber es werden noch viele weitere Pilze von ihm und seiner Frau gefunden, begutachtet und naturgetreu abgeformt werden. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass er noch viele Menschen von der fast unüberschaubar variantenreichen Welt der Pilze faszinieren wird. Sollten sich darunter gar zukünftige Pilzforscher befinden, kann es Mykologin Meike Piepenbring nur recht sein: „Denn die Mykologie ist ein sehr weites Feld und in vielen Bereichen noch in der Pionierphase.“

„Denn wir können nur schützen, was wir auch kennen.“

Klaus Wechsler, biologischer Präparator

Gelbliche Koralle (Ramaria flavescens)

Die Gelbliche Koralle (Ramaria flavescens) steht in mehreren europäischen Ländern auf der Roten Liste der bedrohten Arten.

Form gießen

ELASTOSIL® M

ELASTOSIL®-M-Abformmassen sind raumtemperaturvernetzende, zweikomponentige (RTV-2) Siliconkautschuke, die sich durch eine exzellente Wiedergabegenauigkeit auszeichnen. Sie sind für Abformungen aller Schwierigkeitsgrade und für jeden Reproduktionswerkstoff gleichermaßen geeignet: ob Wachs, Gips, Beton, Gießharze oder niedrigschmelzende Metalllegierungen. Dank ihrer hohen Elastizität und ihrer ausgezeichneten Trenneigenschaften lassen sich Vulkanisate aus ELASTOSIL® M besonders leicht vom Modell lösen. Ihre gute Beständigkeit sichert eine maximale Abformhäufigkeit.

ELASTOSIL®-M-Abformmassen sind als gießbare, streichbare, streichbar-standfeste und knetbare Systeme erhältlich. Das Fließverhalten der verschiedenen Typen wird durch die Viskosität beschrieben. Die streichbar-standfesten Typen unterscheiden sich von den streichbaren Produkten durch ihr reduziertes Fließvermögen: Sie fließen unter Einwirkung der Schwerkraft bis zu einer bestimmten maximalen Schichtstärke (meist bis zehn Millimeter) von senkrechten oder geneigten Flächen weder ab, noch sacken sie durch.

All diese Verarbeitungseigenschaften machen den Werkstoff ELASTOSIL® M für den Formenbau unverzichtbar. Ihr Anwendungsspektrum in Handwerk und Industrie ist entsprechend mannigfaltig. Die Lebensmittelindustrie setzt sie beispielsweise bei der Produktion von Pralinen ein, die Automobilindustrie nutzt sie für Prototypen, etwa für Armaturenbretter, und die Kosmetikindustrie stellt mittels Negativformen Lippenstifte her.